FRAUENBILDUNG 
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Frauenbildung und die Sophienschule
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Aus: Hannover in Wort und Bild, Hannover 1910, S. 14.

„Haupt- und Residenzstadt“ ist der damalige Rechtstitel Hannovers, 1890 von Kaiser Wilhelm II. verliehen, und kennzeichnet Hannovers Epoche von 1890 bis 1918. In diesen Zeitraum fallen die Anfänge der Frauenbildung – auch ein Begriff der damaligen Zeit – in unserer Stadt, in diese Zeit fallen die Anfänge unserer Schule, und ich möchte zeigen, welche Verdienste sich die Sophienschule um die Frauenbildung erworben hat. Dabei sind mehrere Schauplätze, Institutionen und Personen zu berücksichtigen:

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1. Ausgegangen ist alles von dem Verein „Frauenbildungs- Reform“; den Werdegang dieses Vereins wollen wir im Folgenden, solange erforderlich, im Auge behalten.

2. Hedwig Kettler als Vorsitzende des „Frauenbildungs-Vereins“, theoretischer Kopf und treibende Kraft, sollte dem Leser vorgestellt werden.

3. Die Entscheidungen fallen im Magistrat der Stadt Hannover. Heinrich Tramm repräsentiert und bestimmt die Politik der Stadt von 1891 bis 1918. Er und die Entwicklung Hannovers, die er maßgebend beeinflusst hat, werden in einem kleinen Exkurs dargestellt.

4. Und natürlich gehört die junge Sophienschule und gehört ihr erster Schulleiter, Prof. Dr. Hermann Schmidt, zu den Schauplätzen und Akteuren: Entstehung und Werdegang unserer Schule in den ersten zehn Jahren zu verfolgen, ist in diesem Zusammenhang unbedingt nötig.

5. Die Entscheidung, ob an der Höheren Töchterschule III, so hieß unsere Schule in ihren Anfängen, die Abiturprüfung abgehalten werden durfte, ob sie also den Rang eines Gymnasiums, eines Mädchengymnasiums, erhielt, fiel schließlich in Berlin und wurde von höherer Stelle verfügt.

Das Material, aus dem sich die Zusammenhänge und Fakten ergeben, besteht überwiegend aus für den Tag bestimmten Berichten, Zeitungsanzeigen, Aktenstücken, die geheftet und gebündelt in den Archiven die Zeiten überdauerten, wahrscheinlich im Zuge dieser Untersuchung erstmals an das Licht gerückt und vielleicht nie wieder gelesen werden, und wenn, dann nicht mehr mit dem Interesse, das wir ihnen entgegenbringen. Es wird zu zeigen sein, dass es lohnend ist, sie hier zu Wort kommen zu lassen, und wir wollen ihnen mit Neugier und Geduld begegnen.
 


 

 

Der Verein "Frauenbildung" und Frau Prof. Kettler Das Material hierzu stammt zumeist aus dem Stadtarchiv; zur Frauenbildungsfrage hat sich in den Schulunterlagen leider wenig erhalten. Die entsprechende Akte des Stadtarchivs zur Einrichtung eines Mädchengymnasiums wird eingeleitet durch eine Eingabe der Vorsitzenden des zuvor erwähnten Vereins „Frauenbildungs-Reform“, Frau Hedwig Kettler, an den Magistrat. Ich zitiere das in schöner und sorgfältiger Sütterlinschrift vorliegende Zeugnis in Gänze, nicht nur, weil hier die wesentlichen Argumente der Zeit für Frauenbildung zusammengetragen wurden, sondern auch, weil das Zeugnis die politischen Kräfteverhältnisse und die noch geringe Resonanz jenes Vereins im öffentlichen Leben augenfällig werden lässt.

Die Bittschrift ist an den Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover gerichtet, mit dem Datum vom 12. Februar 1893 versehen und wurde in Weimar verfasst:

„Sehr geehrtem Magistrate gestattet sich der ergebenst unterzeichnende Vorstand des Vereins ‚Frauenbildungsreform‘ eine Anfrage gehorsamst zu unterbreiten. Unser Verein hat zur Zeit seinen Sitz in Weimar, zählt aber Mitglieder in allen Teilen des Reiches; aus dem Statuten–Exemplar, das wir beizulegen uns beehren, wollen sie ersehen, dass unser Verein einerseits allen politischen Emanzipationsbestrebungen fern steht, andererseits sich auf das Ziel der Herbeiführung bestimmter Reformen im Unterrichtswesen des weiblichen Geschlechtes beschränkt. Diese von uns erstrebte Reform ist die Ermöglichung gymnasialer und akademischer Ausbildung für solche Mädchen, welche zu studieren beabsichtigen. In erster Linie ist es der Beruf der Ärztin, für den wir der deutschen Frauenwelt den Zutritt ebnen möchten



Die Ärztinnenfrage gewinnt ja heute täglich an Bedeutung; konform mit einem durch uns dem jetzigen Reichstage vorgelegten Wunsche haben bekanntlich unsere Reichstagsabgeordnete den Antrag gestellt, durch eine Änderung in den Bestimmungen der Gewerbe-Ordnung die Zulassung von Ärztinnen in Deutschland zu erleichtern; in allen fremden Kulturländern ist ja die Ärztin bereits seit Jahren zu finden, nur Deutschland steht dieser sanitären und ethischen Zeitforderung noch feindlich gegenüber – wenngleich in neuester Zeit ja auch hier Regierungen und Volksvertretungen uns immer günstiger gestimmt werden.

Wie groß das Interesse ist, das weite Kreise der Gebildeten heute den von unserem Verein vertretenen Bestrebungen entgegenbringen, erhellt u.a. aus zwei Tatsachen: einmal aus der großen und allgemeinen Beachtung, die in der Tagespresse aller Parteien der günstige Bescheid fand, welcher im vorigen Jahre unserer Petition durch den Badischen Landtag zu Teil wurde; sodann aus dem lauten Widerhall, den in der deutschen (und auch einem Teile der ausländischen) Presse die Nachricht fand, dass unser Verein hier in Weimar ein Mädchengymnasium gründen wolle. – Diese Zeitungsnachricht war übrigens eine irrtümliche und nicht von uns herrührende, da wir Weimar nicht hierfür ins Auge gefasst haben.

Die naturgemäße Vorbedingung für die Ermöglichung der Zulassung des weiblichen Geschlechtes zum Universitätsstudium ist die Gründung einer Schule, die den Mädchen jene Vorbildung ermöglicht, welche ein für die Universität sich vorbereitender Knabe erhält: also ein Mädchengymnasium. Wir haben uns daher entschlossen, eine Gymnasialschule für Mädchen ins Leben zu rufen. Das Programm einer solchen (...) wollen Sie aus beifolgenden „Vorläufigen Mitteilungen“ ersehen, die wir für unsere Mitglieder herstellten.

Es sind neuerdings in Prag und Wien Mädchengymnasien entstanden, die ebenfalls durch Vereine ins Leben gerufen wurden. In der Art der ersten Einrichtung glauben wir, nach dem Beispiele vorgehen zu sollen, das uns Prag und Wien geben. Wie dort seitens jener Vereine geschehen, wollen wir auch anfangs den Unterricht durch (...) Lehrkräfte erteilen lassen, die ihn in Freistunden, also im Nebenberuf erteilen. Später soll die feste Anstellung einiger Lehrkräfte angestrebt werden.

Gleich den Vereinen in Prag und Wien sind wir darauf angewiesen, auf die Unterstützung durch jene Stadt, in der die Schule eröffnet wird, insofern zuerst, als uns die betreffende Stadtverwaltung ein Lokal gratis für die benötigten Stunden am Tage überlässt. Im ersten Jahre würde es sich dabei nur um zwei geeignete Zimmer handeln. Die Verwaltungen der beiden genannten österreichischen Städte unterstützen in dieser Weise (und außerdem durch Gewährung freier Heizung und Beleuchtung der Räume) betreffende beide Vereine seit Beginn dortiger Unternehmungen.

Wir suchen eine Stadt, die erstens bereit wäre, diese Förderung unseres Unternehmens (also Gewährung eines freien Lokals) zu bewilligen, und die zweitens genügende Lehrkräfte anwirbt. Da es beabsichtigt wird, den Sitz des Vereins infolge Übersiedlung der Vorsitzenden des Vereins „Frauenbildungsreform“ nach Hannover zu verlagern, würden wir es für richtig halten, zunächst in Hannover den Versuch zu machen, jene Förderung unseres Unternehmens zu finden. Wir fragen daher ergebenst an, ob Sie eventuell geneigt sein würden, jene Förderung zu gewähren.

Die Stadt, die das erste deutsche Mädchengymnasium in ihren Mauern erstehen sieht, dürfte Anspruch auf die Dankbarkeit weiter Kreise haben. Der nationalliberale Abgeordnete, Landgerichtspräsident Kiefer, sagte gelegentlich der Debatte über unser Petition im Landtage: ‚Nicht erst im nächsten Jahrhundert kann und soll die so genannte Frauenfrage gelöst werden; sie drängt schon jetzt auf die Lösung hin. Es handelt sich um eine hochwichtige Tat, nämlich darum, einem berechtigten Streben im sozialen Kampfe um das Dasein mit allen zulässigen Mitteln Vorschub zu leisten.‘

Auf die irrtümliche Zeitungsnotiz hin, dass hier das geplante Mädchengymnasium entstehen solle, erhielten wir bereits zahlreiche Anfragen und Anmeldungen. An Besucherinnen dürfte es also nicht fehlen.
Einer freundlichen Berücksichtigung unserer Bitte um gefl. Auskunft über unsere Anfrage sehen wir, im voraus verbindlichen Dank ausdrückend, mit Spannung entgegen.“

Es ist müßig, über die Art und Geschicklichkeit der Argumentation der Frau Kettler ein Urteil zu fällen, Tatsache ist, dass ihre Petition auf taube Ohren gestoßen ist. Möglicherweise ist der Hinweis auf Prag und Wien wenig hilfreich gewesen, kann man sich doch vorstellen, dass die Stadtväter nichts weniger wollten als Wiener oder Prager Verhältnisse. Auch hat der zweifache Hinweis auf irrtümliche Zeitungsnotizen möglicherweise den Verdacht aufkommen lassen, der Verein habe mit seiner Öffentlichkeitsarbeit Druck ausüben oder vollendete Tatsachen schaffen wollen. In der Selbstdarstellung des Vereins wird auch allzu deutlich, dass sein Wirken bisher weitgehend von Misserfolgen begleitet war. Das alles hat der Hinweis auf die Reichstagsdebatte und den nationalliberalen Abgeordneten Kiefer – Heinrich Tramm gehörte dieser Partei an – wohl nicht wettmachen können. Wie auch immer, nach einem gehörigen zeitlichen Abstand von sieben Monaten lässt der Magistrat durch seinen Syndikus Eyl der Vorsitzenden mitteilen: „Auf die Eingabe vom 25.2. d. J. erwidern wir Ihnen ergebenst, dass wir uns nicht in der Lage befinden, die Einrichtung eines Mädchengymnasiums am hiesigen Orte zu unterstützen.“ Das war eine Abfuhr, wie sie deutlicher nicht hätte ausfallen können. An den Finanz-mitteln für die materiellen Zuwendungen, um die gebeten wurde, kann es sicherlich nicht gelegen haben, geht es in erster Linie doch nur um die stundenweise Bereitstellung zweier Klassenräume einschließlich der Heizungs- und Beleuchtungskosten.

Bevor wir den Faden weiterspinnen, scheint es an dieser Stelle angebracht, einen Blick auf die Persönlichkeit Hedwig Kettlers zu werfen. Frau Kettler wird neuerdings zu den zwölf bedeutendsten Frauen Hannovers gezählt, die in dem Buch „Sophie & Co. Bedeutende Frauen Hannovers, Hannover 2. Auflage 1996“ dem Leser vorgestellt werden. Ich beziehe mich – was die Fakten betrifft, nicht aber die Bewertung – im Folgenden auf den Beitrag von Marion Bock, die auch an anderer Stelle die Bedeutung Hedwig Kettlers hervorgehoben hat: Frau Hedwig Kettler geb. Reder wird am 19.9.1851 als Tochter des nachmaligen Eisenbahnbetriebsdirektors Gustav Reder und seiner Frau Elise Reder geb. Brüning in Harburg an der Elbe geboren. Aufgrund des Berufs des Vaters folgen Aufenthalte in Osnabrück, Bremer-vörde, Stuttgart und Berlin. Hedwig erhält die damals übliche Töchterschulbildung und fühlt sich zur Malerin berufen, erhält entsprechenden Zeichen- und Malunter-richt. 1880 erfolgt die Eheschließung mit Julius Kettler, nach den Recherchen von M. Bock muss es sich um eine harmonische Beziehung gehandelt haben. Von Julius Kettler, der als Journalist und höherer Beamter ein Mann des öffentlichen Lebens war, hat Hedwig Kettler jedenfalls bei ihren Unternehmungen im öffentlichen Bereich stets Unterstützung erfahren. Diese Öffentlichkeitsarbeit indes verläuft ganz anders als ihr Leben im privaten Bereich; dort sind Schroffheiten und Sprünge zu beobachten, die nicht immer auf ganz unverschuldete Ursachen zurückzuführen sind. Unvermittelt und von der Biographie her unbegründet erscheint, dass Frau Kettler ihren künstlerischen Neigungen entsagt und sich der Frauenbewegung verschreibt, zunächst publizierend und theoretisierend. So gründet sie 1887, sie nennt sich jetzt Frau J. Kettler nach dem Anfangsbuchstaben des Vornamens ihres Mannes (später übernimmt sie auch, wie damals üblich, dessen Professorentitel), eine Zeitschrift: „Frauenberuf. Zeitschrift für die Interessen der gebildeten Frauenwelt“. Ab 1892 wird diese Publikation durch die „Bibliothek der Frauenfrage“ weitergeführt. Mit der Gründung der „Deutschen Frauenverein Reform“ am 30. März 1888 in Weimar greift Hedwig Kettler dann aber tatkräftig in die bestehenden Verhältnisse ein. Der Verein besitzt nach einem Jahr schon über hundert Mitglieder, er verfasst Petitionen, die an die Kultusminister der Länder versandt werden, immer mit der Forderung nach einer Reform der Mädchenbildung, der Gleichstellung der Geschlechter bei der Schulbildung. 1893 wird Julius Kettler als Direktor des Statistischen Amtes nach Hannover versetzt, dementsprechend wird der Sitz des Vereins nach Hannover verlegt. Frau Kettler gründet hier im nämlichen Jahr den Verein „Frauenbildungs-Reform“ mit dem Ziel der Gründung eines Mädchengymna-siums. In diesen Zusammenhang gehört ihre Eingabe an den Magistrat der Stadt Hannover vom 14. Februar 1893, wie wir sie zuvor vorgestellt haben. Mehr Erfolg hatte der Verein „Frauenbildungs-Reform“ in Karlsruhe. Hier wurden die ersten Grundlagen für das geforderte Mädchen- gymnasium gelegt: Für 1899 wurden die ersten Abiturientinnen erwartet. Aber auf den Erfolg und Misserfolg des Karlsruher Gymnasiums werden wir später zu sprechen kommen, auch auf die persönliche Krise, die mit diesem Unternehmen für Hedwig Kettler verbunden war. Wir werden im Folgenden auch zeigen, dass die Einrichtung der „Gymnasialkurse für Mädchen“ Ostern 1900 in Hannover, die dann an die Sophienschule verlegt wurden, auf die Initiative von Hedwig Kettler zurückgeht. Dann aber trennen sich die Wege: In dem Moment, als diese Kurse fester Bestandteil der Sophienschule wurden, wendet sie sich ab und versucht einen Alleingang. M. Bock begründet das so: „Die Initiatorin ist dennoch nicht zufrieden. Sie hält an ihrer Idee eines „Vollgymnasiums“ für Mädchen fest, sieht allerdings keine realistischen Bedingungen dafür. Auf der 11. Generalversammlung des Vereins „Frauenbildungs-Reform“, dessen Mehrheit sich vorläufig mit den „Gymnasialkursen“ begnügen möchte, stellt sie überraschend den Antrag auf Auflösung des Vereins und seiner Nebenorganisationen zugunsten eines neu zu gründenden „Vereins zur Erhaltung des Hannoverschen Mädchengym-nasiums“. Dieser Antrag wird, wie erwartet, abgelehnt. Hedwig Kettler zieht daraufhin die Konsequenzen und legt am 26.4.1901 den Vereinsvorsitz nieder.“ Mit diesem Schritt verliert Frau Kettler jeden Einfluss auf eine Entwicklung, die sie selbst ins Leben rief und die in der Folge so schöne Früchte tragen sollte!

Das Folgende ist nur ein Nachklang und unterstreicht den tragischen und verhängnisvollen Schritt, den Hedwig Kettler gegangen war, denn fortan blieb sie ohne Einfluss, und die Frauenbildung, von ihr erhofft und ersonnen, wurde von anderen vorangetrieben: 1902 gründet Hedwig Kettler das „Komitee für vollständige Mädchen-gymnasien“; von 1902 bis 1908 schreibt sie jährliche diesbezügliche Eingaben an den preußischen Kultusminister sowie den Landtag. Ihre Petitionen werden stets abgelehnt, später gar nicht mehr beantwortet. Frau Kettler zieht sich nun aus dem Kampf um die Frauenbildung zurück, ist fortan nur noch schriftstellerisch tätig: Von 1905 bis 1914 veröffentlicht sie in „Westermanns Monatsheften“, von 1919 bis 1922 ist sie Lektorin und Redakteurin für die Jugendschriften des Berliner Fleming-Verlages. Am 5. Januar 1935 stirbt Hedwig Kettler im Alter von 85 Jahren.



1 Bock, Marion, Gleiche Bildung für Mann und Frau, Hedwig Kettler – eine vergessene Wegbereiterin
     in der Frauenemanzipation, unveröff. Magisterarb., Hist. Sem. Univ. Hannover 1989
 
Stadtdirektor Tramm und die kgl. Haupt- und Residenzstadt 
Hannover
 
 
 
 

Werfen wir nun einen Blick auf das damalige Hannover: Unter seinem Stadtdirektor Heinrich Tramm (1891 – 1918) hat die Stadt in ihrer Geschichte wohl die größte Umwandlung und Veränderung erfahren. Der Aufstieg Hannovers zu einer Großstadt – zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Stadt fast 4000 ha groß, besaß 235649 Einwohner, hatte 11575 Wohngebäude, der städtische Haushalt verfügte über 8758043 Mark Einkommen, die Ausgaben dagegen betrugen nur 8425741 Mark – der Aufstieg dieser Stadt war mehreren Umständen zu verdanken:

Stadtsyndikus Eyl lehnt das Gesuch Frau Kettlers, die Frauenbildung in Hannover zu unterstützte, ab.

1. Hannover hatte sich eher als das platte Land mit der Annexion durch Preußen abgefunden und die neuen Verhältnisse für sich genutzt. Ein schneller wirtschaftlicher Aufschwung, der nicht durch einen industriefeindlichen Hof gehindert wurde, war die Folge.

2. Mit der Gebietsreform vom 1. Juli 1891 wurde die Eingemeindung der nördlichen Vordörfer List, Vahrenwald, Hainholz und Herrenhausen mit insgesamt 1476 Hektar nach Hannover vollzogen; damit war der notwendige Raum für weitere Industrieansiedlungen und die Entwicklung der Eisenbahn (Rangierbahnhof bei Hainholz, Güterbahnhöfe) bereitgestellt. Weitere Gebietsreformen folgten (1905: Eingemeindung von Stöcken, Buchholz, Bothfeld; 1907: Döhren, Wülfel, Kirchrode; 1913: Ricklingen) und hatten einen ähnlichen positiven Ein-fluss auf das Gemeinwesen.

3. Nicht zuletzt war Heinrich Tramm an dieser Entwicklung beteiligt. 1854 als Sohn des kgl. Hofbaumeisters Heinrich Tramm, des Architekten des Welfenschlosses, geboren, wurde er nach einem Jurastudium und den üblichen Ausbildungsstationen bis zum Assessor 1883 zum Senator in seiner Vaterstadt gewählt. Sieben Jahre war er Stadtsyndikus und nach dem Tode von Ferdinand Haltenhoff ab 1891 Stadtdirektor. Dieses Amt hat er erst im Zuge der Revolution von 1918 aufgeben müssen. Politisch war Tramm den Nationalliberalen zuzurechnen. Die Bedeutung der Ära Tramm wird an den baulichen Veränderungen der Stadt besonders augenscheinlich. Tramm ist in Verbindung zu bringen mit dem Bau des Neuen Rathauses, das 1913 im Beisein des Kaisers eingeweiht wurde. „Alles bar bezahlt, Majestät!“ hatte Tramm damals stolz melden können. Weniger bekannt ist der Bau der Kanalisation zwischen 1891 und 1898, ein Unternehmen, dem U-Bahnbau der vergangenen Jahre durchaus vergleichbar, der Ausbau des Trinkwassernetzes und der Trinkwasserwerke, der Bau eines ersten städtischen Elektrizitätswerkes, der Bau städtischer Krankenhäuser und einer Anlage zur Gaserzeugung. Auch das Goseriedebad, das Kestner- und Provinzialmuseum (heute Landesmuseum) gehen auf die Initiative von Tramm zurück. Aber auch den Bau-Boom, finanziert von privater Seite, muss man sich vor Augen führen. Ganze Straßenzüge und Stadtteile entstehen, so die gesamte Oststadt, und die Stadtverwaltung hatte Mühe, mit der Erstellung der Infrastruktur Schritt zu halten. Ein besonderes Anliegen war Tramm sicherlich auch das Schulwesen, während seiner Amtszeit wurden 18 Volksschulen und 8 Höhere Schulen neu gebaut und eingerichtet, so unter anderen auch das Gebäude unserer Sophienschule.



2 Angaben nach: Hannover im 20. Jahrhundert. Aspekte der neueren Stadtgeschichte, Publikation 
   des Historischen Museums, Hannover o. J.
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Die Ereignisse bis zur Einführung der 
Gymnasialkurse 
für Mädchen
Kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück: Das offenkundig wohlhabende, im Aufbruch befindliche Hannover hatte Frau Kettler die stundenweise Bereitstellung zweier Klassenräume zum Zwecke der Frauenbildung verwehrt. Der Verein „Frauenbildungsreform“ hatte deswegen seine Aktivitäten in das badische Karlsruhe verlegt und dort ein Mädchengymnasium ins Leben gerufen, das erste seiner Art in Deutschland. Diesem Unternehmen ist aber nur ein bescheidener Erfolg zuteil 
geworden, finanzielle Engpässe und Nöte, Querelen innerhalb des Vereins über pädagogische Zielsetzungen und Fragen des Lehrplans und der Lerninhalte begleiteten das Projekt. Innerhalb des Vereins kam es während einer turbulenten Mit-gliederversammlung in Berlin zu Fraktionsbildungen, Abspaltungen. Frau Kettler verlor teilweise das Vertrauen der Mitglieder, sie wurde aus dem Karlsruher Projekt ausgeschaltet – und besann sich wieder auf Hannover.

Die Situation des Vereins hatte sich 1899 gegenüber 1893 so weit verändert, dass Frau Kettler in Hannover nunmehr offensichtlich über namhafte Mitstreiterinnen und Mitstreiter verfügte, außerdem versuchte man es dieses Mal mit einer Mehr-fachstrategie: Parallel zu einer erneuten Eingabe an die Stadt Hannover entschloss man sich, sich per Zeitungsanzeige an ein breites Publikum zu wenden. Gleichzeitig führte Frau Kettler Gespräche auf ministerieller Ebene in Berlin. All das hat dann schließlich zum entscheidenden Durchbruch verholfen. Der „Aufruf für Errichtung eines Mädchen-Gymnasiums in Hannover“ ist der bereits erwähnten Akte des Stadtarchivs zur Einrichtung eines Mädchengymnasiums beigefügt, die Tageszeitung, in der veröffentlicht wurde, lässt sich nicht mehr feststellen (vermutlich jedoch war es der „Courir“), auch ein sicheres Datum fehlt, aus der Datierung des Zeugnisses aber geht hervor, dass der Aufruf im Januar 1899 veröffentlicht sein muss. Der Text lautet wie folgt: „Immer allgemeiner erhebt sich auch in Deutschland der Ruf nach Zulassung des weiblichen Geschlechts zum Universitätsstudium, nachdem nun fast alle anderen Länder Europas uns in der Erschließung der Hochschule für die Frau vorangegangen sind! Die wirthschaftliche Entwicklung unserer Zeit drängt dahin, auch für unsere Töchter die Möglichkeit eigener Erwerbsfähigkeit so weit zu steigern, wie es heute in Deutschland praktisch durchführbar ist. Schon haben im Handels- und Gewerbsleben sich viele Thätigkeitsgebiete dem Fleiß der Frauen geöffnet, die ihnen ehemals verschlossen waren; heute gilt es, nicht hinter unseren Nachbarländern zurückzubleiben, sonders auch auf dem weiten Felde der auf wissenschaftlichen Studien aufgebauten Berufe dem weiblichen Geschlecht die Wege zu ebnen, die ihm nützlich sein können.

Aber es ist nicht allein und nicht einmal in erster Linie das wirthschaftliche Interesse, das die Zulassung der Frau zur Universität fordert, sondern dringender noch das wachsende Bedürfnis nach Ärztinnen für kranke Frauen und Mädchen. Zahlreiche weibliche Personen leiden Schaden an ihrer Gesundheit, weil sie sich scheuen, sich an einen männlichen Arzt zu wenden. Hier thut Hilfe dringend noth!

Es gilt ferner überhaupt auch, diejenigen Mädchen, die eine den gleichaltrigen Stufen der höheren Schulen für die männliche Jugend entsprechende wissen- schaftliche Ausbildung wünschen, eine solche zu ermöglichen.

Wollen wir aber dem weiblichen Geschlechte die Universität öffnen, so werden die dadurch angestrebten Ziele nur dann in vollbefriedigender Weise zu erreichen sein, wenn die Mädchen, die sich dem Studium widmen, dafür eine ebenso gründliche Vorbildung mitbringen, wie ihre männlichen Mitstudenten. Mit anderen Worten: Wir brauchen Mädchengymnasien.

Auf Einladung des hiesigen Vereins Frauenbildungs-Reform, der 1893 zu Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium ins Leben rief, sind die Unterzeichneten zum Zweck der Vorarbeiten dafür zu einem „Ausschuss für Errichtung eines Hannover-schen Mädchengymnasiums“ zusammengetreten. Es wurde beschlossen, dass die in die neue Anstalt eintretenden Schülerinnen die Vorbildung haben müssen, die für den Eintritt in die oberste Klasse einer neunklassigen Höheren Töchterschule gefordert wird. Der Lehrgang des Mädchengymnasiums soll fünf Jahre umfassen; seine erfolgreiche Zurücklegung giebt den Schülerinnen die Fähigkeit, die Reifeprüfung für das Universitätsstudium vor der Prüfungscommission eines Knabengymnasiums (also in der Weise, wie das thatsächlich ja schon seit Jahren in Berlin gestattet wird) abzulegen. Die Eröffnung der Anstalt, für die sich schon Schülerinnen sowohl aus hiesiger Stadt, wie auch aus der Provinz angemeldet haben, soll Ostern d.J. erfolgen.

Wir haben uns entschlossen, eine „Gesellschaft zur Mitbegründung des Hannover-schen Mädchengymnasiums“ ins Leben zu rufen, deren Mitglieder jährlich 3 M zu den Kosten der Anstalt beitragen. So hoffen wir, weiten Kreisen der Gebildeten die Mitarbeit an einem im wahren Wortsinn gemeinnützigen und patriotischen Unternehmen zu ermöglichen.

Vertrauensvoll wenden wir uns in erster Linie an die Frauen und Jungfrauen unseres niedersächsischen Landes! Es gilt ein Unternehmen zu fördern, das bestimmt ist, dem weiblichen Geschlechte dauernden Segen zu stiften; ein Unternehmen, das bestimmt ist, unserm niedersächsischen Lande und der Stadt Hannover eine Ehre zu werden! Alle, die Herz und Verständnis haben für die Aufgaben der Zeit, wie für die wohlverstandenen Interessen der Heimath, sie alle ohne Unterschied der politischen oder confessionellen Verschiedenheiten bitten wir, unser Vorhaben durch ihren Beitritt fördern zu wollen.

Beitrittsanmeldungen für die „Gesellschaft zur Mitbegründung des Hannoverschen Gymnasiums“ bitten wir, baldigst an den „Ausschuß für Errichtung des Hannover-schen Mädchengymnasiums“ (Hannover, Lavesstr. 67) richten zu wollen. Auch Anmeldungen von Schülerinnen werden dorthin erbeten. – Hannover, Januar 1899“

Aber es gab nicht nur erbetene Zuschriften: Als Reaktion auf den Zeitungsaufruf traf in der Lavesstraße auch eine mehrseitige anonyme Schmähschrift ein, die mit „Nostradamus“ unterzeichnet worden ist. Hier findet man alle gängigen Vorurteile der Zeit gegenüber Studentinnen an den Universitäten, der Verfasser hat viel Mühe und Bildungsbeflissenheit verwandt, er muss dem Lehrberufe nahe gestanden haben. Seine Schrift wurde von der Gesellschaft zur Mitbegründung des Hannover-schen Gymnasiums an den Magistrat weitergeleitet und ist der schon genannten Akte beigefügt.

Dem Zeitungsaufruf ist anzumerken, dass seit der Petition der Frau Kettler sechs Jahre vergangen sind: Wie viel mehr Selbstbewusstsein spricht doch aus diesen Zeilen! Zwar mutet uns heute die Argumentation für die Ausbildung von Ärztinnen reichlich puritanisch an, aber es wird deutlich, den Initiatoren geht es um mehr, geht es grundsätzlich um den Zugang zu den Universitäten, also um ein Stück Gleichberechtigung. Die Entwicklung muss in diesen sechs Jahren in diese Richtung fortgeschritten sein, es gilt nicht mehr, sich an die Spitze einer Entwicklung zu stellen, sondern das nachzuholen, was an anderer Stelle längst praktiziert wird, der Hinweis auf die Nachbarländer und die Praxis in Berlin machen das deutlich. Ferner wird augenscheinlich, dass hier nun ein durchdachtes und praktikables Konzept vorgelegt wird, organisatorisch, inhaltlich und finanziell. Bezeichnenderweise ist in diesem Aufruf der Stadt Hannover keine Rolle zuerkannt worden, man scheint ganz und gar auf Privatinitiative zu setzen, verschweigt aber, dass seit dem 20. Oktober des Vorjahres dem Magistrat eine entsprechende Petition vorgelegt wurde; offenbar hatte der Ausschuss zur Zeit des Aufrufs Kenntnis, dass eine abermalige Ablehnung seitens des Magistrates erfolgt war (13. Januar 1899). Aber wir greifen den Ereignissen vor. Ich glaube, die mutigen Frauen und Männer, die als Ausschussmitglieder den Aufruf unterzeichneten, haben es verdient, hier 

namentlich genannt zu werden, aber nicht nur das, die Namensliste zeigt auch, wie weit die Idee der Frauenbildung im „gebildeten“ Bürgertum nun Fuß gefasst hatte. Die Namensliste folgt dem Alphabet: Frl. E. Ahm; Commerzienrath v. Cölln; Divisionspfarrer Delbrück; Frau Oberst Gruppe; Redacteur Dr. Hamel; Frau Oberauditeur Hasenbalg; Frau 
J. Jordan; Dr. med. Kantorowicz; Prof. Dr. Kettler; Gasan-staltsdirector Körting; Frl. M. Koch; Redacteur Ludowig; 
Frl. A. Morsch; Frau v. Quintus-Icilius; Ramdor, Director 
der Leibnizschule; Prof. Roeder, Oberlehrer am Lyceum I; 
Frl. E. v. Reiche; Frau Sartorius Rheinhold; Redacteur 
Rosenthal; Oberlehrer Dr. Schmidt, Dirig. d. st. Höh. Töchter-schule III; Dr. Schuchhardt, Director des Kestnermuseums.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht nur aufgefallen sein, wie viele Fachleute, Schulmänner hier am Werke waren (ob sich hinter den unverheirateten Damen die eine oder andere Lehrerin verbirgt, entzieht sich meiner Kenntnis), sondern er wird auch bei dem Namen Dr. Schmidt besonders aufgemerkt haben, und das zu Recht: Jener Oberlehrer Dr. Schmidt, Dirigent der städtischen Töchterschule III, und seine Schule, die spätere Sophienschule, tauchen hier erstmals im Zusammenhang mit der Planung eines Mädchengymnasiums auf. Als Leiter der „Gymnasialkurse für Mädchen“, die aus dieser Planung erwuchsen, hat Prof. Dr. Hermann Schmidt zehn Jahre später im Jahre 1909 in seinem Bericht über die Geschichte der Kurse die Vorgänge in der Gründungsphase wie folgt dargestellt: „Am 20. Oktober 1898 richtete der Verein Frauenbildungsreform auf Veranlassung der Vorsitzenden, Frau Professor Kettler, an den Magistrat zu Hannover die Anfrage, ob dieser bereit sei, auf Grundlage eines durch die Lehrplankommission des Vereins geschaffenen Programms ein städtisches Mädchengymnasium zu errichten. Falls er aber zur Zeit der Einrichtung eines solchen Mädchengym-nasiums noch nicht näherzutreten beabsichtige, werde der Verein diese Anstalt zu errichten suchen, aber stets bereit sein, dieselbe an die Stadt abzutreten.


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Der Magistrat lehnte unter dem 13. Januar diesen Antrag ab und überließ dem Verein das weitere, versprach aber, die Entwicklung des Unternehmens „weiterhin mit Interesse im Auge zu behalten“.

„Nach einer Vorbesprechung mit dem Oberregierungsrat Freiherr v. Funk zur Klärung der seitens der hiesigen königlichen Regierung bestehenden Bedenken wurde der Antrag auf Errichtung eines Mädchengymnasiums an das Ministerium gerichtet. Vor Unterbreitung des Planes vor dem Herrn Kultusminister erbat aber die Vor-sitzende eine Audienz bei demselben. Sie wurde an seinen Referenten Dr. Schneider verwiesen. Mit diesem konferierte Frau Kettler am 7. März in Berlin. Darauf erfolgte am 24. März 1899 die Erlaubnis der Königlichen Regierung zur Errichtung der „Gymnasialkurse für Mädchen“ in Hannover unter der Bedingung, dass zu den Kursen nur solche Schülerinnen zugelassen würden, die das Ziel der Höheren Mädchen-schule erreicht hätten. Die weiteren Bedingungen waren, dass die Befähigung des Leiters und der Lehrenden vor Eröffnung der Kurse der Regierung nachgewiesen wurde.“

Und weiter heißt es in diesem Bericht: „Am 20. April wurden die Ostern 1900 eröffneten Kurse dem Provinzial-Schulkollegium unterstellt. Der Leiter der Kurse war anfangs Herr Professor Roeder, Direktor der Realschule III, danach Herr O. Ulrich, wissenschaftlicher Lehrer an der Stadttöchterschule III, und seit Michaelis 1902 Direktor Dr. Schmidt.“
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Prof. Dr. Hermann Schmidt 
und die Sophienschule
Bevor wir uns weiter dem Fortgang und den Inhalten der nun ins Leben gerufenen „Gymnasialkurse für Mädchen“ widmen, ist es nun an der Zeit, Dr. Hermann Schmidt vorzustellen und die Anfänge der Sophienschule vor Augen zu führen. Die Angaben zur Person habe ich der Personalakte Dr. Schmidt entnommen, wie sie im Stadtarchiv vorliegt:

Hermann Schmidt wurde am 11. Mai 1856 in Eisleben als Sohn des Kaufmanns 
F. Schmidt geboren, legte im September 1876 am kgl. Gymnasium eben daselbst das Abitur ab, studierte in Leipzig, Halle, Strassburg, promovierte über „Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg“ und legte die wissenschaftliche Prüfung in den Fächern Geschichte, Philosophie, Deutsch, Latein vor der kgl. Wissenschaftlichen Prüfungs-kommission in Halle ab (1882). Dann übernimmt er eine Hilfslehrerstelle am Nicolai-gymnasium in Leipzig. Schon 1883 bewirbt sich Dr. Schmidt um eine Anstellung an der Höheren Töchterschule I in Hannover, der späteren Wilhelm-Raabe-Schule. Die Schulkommission unter dem damalige Stadtdirektor Haltenhoff entspricht dieser Bewerbung bei einem Anfangsgehalt von 2000 M im Jahr. Dr. Schmidt dankt einem „hochlöblichen Rat der Stadt Hannover“ am 20.3. überschwänglich für diese Anstellung, der Unterzeichnete erklärt, dass er „allezeit bestrebt sein wird, durch treue Pflichterfüllung in seinem Berufe das ihm geschenkte Vertrauen zu rechtfertigen und seines Teils nach Kräften zur Förderung der betreffenden Anstalt beizutragen“. Dieses Versprechen, das sich dann auch auf die Sophienschule übertragen lässt, hat Dr. Schmidt in eindrucksvoller Weise eingelöst. 1896 bewirbt sich Schmidt zusammen mit seinem Kollegen Leon Wespy

Dr. Schmidt  (obere Reihe Mitte)  im Jahre 1904 mit Lehrerinnen, Lehrern und Schülerinnen der Selekta

um die vakant gewordene Schulleiterstelle seiner Schule, zwar kommt er nicht zum Zuge, Wespy erhält vom Magistrat den Zuschlag, er wird während der Weimarer Republik dann in der Schulverwaltung eine bedeutende Rolle spielen, Schmidt aber ist vom Magistrat (insgeheim) als Schulleiter für eine in der Oststadt neuzu- gründende Töchterschule, die Höhere Töchterschule III, vorgesehen. Damit ist dieser Mann seiner Wirkungsstätte zugeführt, die weitgehend seine Lebensaufgabe sein wird. Der Unterricht wird am 27. April 1897 – das ist der eigentliche Geburtstag unserer Schule – mit einer Klasse 9 und 22 Schülerinnen aufgenommen. Fortan kümmert sich Dr. Schmidt um alles, drängt, mahnt, fordert, ist der vorgesetzten Schulbehörde und dem Magistrat ein äußerst unbequemer Schulleiter, mit den finanziellen Zuwendungen und materiellen Förderungen der Stadt nie zufrieden, immer bestrebt, den engen Bildungs-rahmen, den die Schulbehörde für die Anstalt vorgesehen hatte, auszuweiten. Bald schon erfolgt der Umzug aus der Ludwigstraße 6 in die Sedanstraße 48, eine Wohnung mit drei Klassenräumen, von der Witwe Nagel angemietet (Mietvertrag und Grundriss der Räume finden sich noch unter den Unterlagen der Schulakte im Stadtarchiv). Schon 1898 wird der Schulneubau in der Seelhorststraße begonnen, April 1900 ist das Gebäude erstellt und wird von 362 Schülerinnen bezogen. Dem Neubau hat Schmidt bis ins Detail seinen Stempel aufgedrückt, immer wieder hat er Besserungsvorschläge und bringt den Baumeister Rowald zur Verzweiflung. Mit dem Bezug des Neubaus erhält das Institut auf Anregung von Schmidt den Namen „Sophienschule“. Die folgenden zehn Jahre sind die nachhaltigsten und fruchtbarsten im Leben Schmidts gewesen. Besonders um das Jahr 1904 herum häufen sich die Erfolge Schmidts. In den Schulberichten, die Schmidt Jahr für Jahr abliefert, lesen wir für dieses Jahr, dass die Sophienschule mit anderen auserwählten Schulen des Deutschen Reiches mit zahlreichen Exponaten an der Weltausstellung in St. Louis teilgenommen hat, für den 13. Juni findet sich der Eintrag: „Der Kommissar der deutschen Schulaus- stellung in St. Louis teilt der Direktion mit, dass die Ausstellung der Sophien- schule im Rahmen der gesamten deutschen Schulaus-stellungen schon am 12. Tage nach der offiziellen Eröffnung der Weltausstellung dem Publikum zugänglich gemacht werde konnte. Das Interesse für die Ausstellungs-objekte unserer höheren Schulen sei lebhaft.“ Überhaupt muss die Sophienschule damals so etwas wie eine Musterschule gewesen sein, davon künden die zahlreichen Hospitationen von Fachleuten des In- und Auslandes. Unter den Hospitantinnen werden z.B. für das Jahr 1904 eine Miß Wimfred Walker aus England und Miß Petitte aus New York genannt. Aber das Hauptinteresse der Öffentlichkeit galt doch eher den Real- gymnasialkursen für Mädchen, in dem entsprechenden Bericht Schmidts heißt es: „Es hospitierten im Laufe der Jahre viele im Unterricht der Kurse, hervorgehoben sei hier nur die Teilnahme der Herren Privatdozenten Dr. Meyer – Göttingen, Stadtschulrat Professor Dr. Wychgra – Lübeck, Direktor Dr. Fröhlich – Essen, Direktor Dr. Meyer – Mühlheim, Direktor Dr. Tesdorpf – Hildesheim, Dr. Porger, Erzieher der Kaiserlichen Prinzessin Viktoria, Direktor Dr. Kippenberg – Bremen, und eine Anzahl Ausländer und Ausländerinnen, welche die behördliche Genehmigung hatten.“ Vermutlich sind über den Herrn Dr. Porger die entsprechenden Verbindungen geknüpft worden, die sich dann später in besonderen Ehrungen ausdrückten, jedenfalls schreibt Schmidt in einem viel später verfassten Lebenslauf nicht ohne Stolz: „September 1908 wurde mir die Auszeichnung zuteil, auf Anordnung S.M. an der Fahrt der Meteor nach den Nordischen Hauptstädten teilzunehmen. Am 24. August wurde mir vom Kaiser der Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen.“ Schmidt war damals in Hannover ein angesehener Mann, hielt Vorträge, wurde von höchster Stelle um Rat angegangen, wurde mit Zuwendungen für eine Italienreise belohnt. Der persönliche Einbruch fiel mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches zusammen, persönliche Schicksalsschläge kamen hinzu, mit den neuen Machthabern scheint Schmidt nicht zurecht gekommen zu sein, obwohl er in Wespy, so gut es ging, eine Stütze fand. 1921 muss er gegen seinen Willen in Pension gehen und darf nicht, wie er so sehr wünschte, das 25-jährige Jubiläum seiner Schule als Schul-leiter feiern. Aber auch im Ruhestand bleibt Schmidt nicht untätig, er gründet die hiesige Ortsgruppe der Goethegesellschaft und ist jahrelang (1925-1929) deren 1.Vorsitzender. Schmidt ist ein ausgezeichneter Goethe-Kenner gewesen, er schrieb eine Abhandlung über „Goethes Beziehungen zu Hannover“ sowie Aufsätze über die Themen: Die Kurfürstin Sophie zu Hannover; Die Stadt Hannover im 30-jährigen Krieg; Die alten Handelswege in Niedersachsen und ihr Einfluss auf die Siedlungen am Nordhang der Mittelgebirge. Leider sind mir diese Schriften nicht zugänglich gewesen. Am 11. Mai 1936 wird Schmidt 80 Jahre alt. Die Behörde gratuliert und dankt. Ein Blumenstrauß wird bewilligt. Der enge Kostenrahmen lässt einen der Behördengratulationssträuße vermuten, aus den Gewächsen der Saison zusammengefügt. Ein Beamtenleben hat sich damit erfüllt! – In seinem Dankes- und Antwortschreiben vom 17.5.36 schreibt Schmidt von seiner Sophienschule: „Möge sie weiterhin blühen und gedeihen.“ Am 22.6.1936 ist Hermann Schmidt in seiner Wohnung in der Ostermannstraße 12 gestorben.
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Eine Idee wird Wirklichkeit: 
die Gymnasialkurse für Mädchen
Soweit Hermann Schmidt und die Anfänge der Sophienschule. Kehren wir zu den „Gymnnasialkursen für Mädchen“ zurück, die ab 1900 in zwei Klassenräumen der neuerstellten Sophienschule stattfanden, seit 1902 auch unter der Leitung des dortigen Direktors. Die weiteren Informationen entnehme ich wieder dem schon erwähnten Bericht Schmidts. Dieser Bericht gibt uns einen Überblick über den Lehrplan, die Lehrer der Kurse, die Entwicklung der Schülerinnenzahl, die Verteilung der Schülerinnen nach ihrem Wohnort, die Religionsbekenntnisse und die jeweilige Vorbildung. Die Jahrgänge der Abiturientinnen von 1904-1909 sind vollständig aufgeführt mit Zeit und Ort der Geburt, Konfession, Stand des Vaters und dem angestrebten Studium. Hier liegt eine Fülle von Material bereit, das sich in die eine oder andere Richtung auswerten ließe.

Ich will mich hier auf das Aufzählen der Fächer beschränken, in denen die Schülerinnen während der Kursdauer von fünf Jahren unterrichtet wurden: Religion, Deutsch, Latein, Französisch, Englisch, Geschichte, Erdkunde, Mathematik, Naturwissenschaften, Griechisch. Es fehlt der Sport, es fehlen die musischen Fächer, aber drei Sprachen mussten erlernt werden. Sieht man die Lehrpläne zu den einzelnen Fächern durch, dann muss man feststellen, dass den jungen Damen doch einiges abverlangt wurde. Zum Bedauern von Dr. Schmidt sind die Mädchengymnasialkurse zu Ostern 1902 in Realgymnasialkurse umgewandelt worden, das Fach Griechisch fiel weg: „Das geschah nicht zur Freude unserer Schülerinnen, die so sehr gerne beim Griechischen geblieben wären, auch hier bestätigt sich die auch anderwärts gemachte Beobachtung von der größeren Neigung der Mädchen zum Sprachl.-Historischen.“ Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass Dr. Schmidt eine besondere Begabungsrichtung und spezifische Begabungsdefizite bei den Mädchen voraussetzt: „Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass nach unseren Erfahrungen auch die Neigung und Beobachtung der Mädchen für die sprachlich-historischen und ihre im allgemeinen geringe Begabung für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer sich in den Examenserfolgen seit Jahren deutlich ausprägt.“ Für diese seine These führt Schmidt einen Gewährsmann an, Prof. Dr. Schrader, selbst ein Verfechter der Frauenbildung, der in dem Organ „Frauenbildung“ 1908, Heft 9, u.a. schreibt: „Geradezu überraschend gut zeigt sich die sprachliche Anempfindung, das Verständnis für Autoren, das Extemporieren der Texte, deren Wiedergabe oft von stilistischem Spürsinn unterstützt wurde, und auch Einsicht in grammatische Zusammenhänge (...). Es wäre falsch zu behaupten, dass mathematische Befähigung beim weiblichen Gehirn eine Abnormalität wäre (...). Wir haben mehrere Beispiele von trefflicher Veranlagung gehabt. Der Durchschnitt bezwingt jedoch die mathematisch-physikalischen Stoffe nicht so bequem wie die sprachlich-historischen (...). Das Normale wird ja zweifellos geleistet, oft infolge rührender Gewissenhaftigkeit.“

Neben dem amtlichen Bericht Schmidts über die „Gymnasialkurse für Mädchen“ findet sich in den „Sophienschul-Grüßen“, der Verbandszeitung des Bundes ehemaliger Sophienschülerinnen, ein Vierteljahrhundert später eine sicherlich verklärte Erinnerung an diese Pionierzeit. Verfasserin ist eine Frau Voigt, in dem Bericht Schmidts ist sie vermerkt als „Sprachlehrerin“ (1899 bis zur Abfassung des Berichtes 1910) mit den Fächern Französisch und Englisch. Frau Voigt schreibt 1926 in den „Grüßen“ unter der Überschrift „Es ist schon lange her“: „Eigenartig war die erste Aufnahmeprüfung für die Obertertia, die damalige unterste Klasse, ebenso wie die ersten Schultage. Mit großem Wohlwollen und einer gewissen Neugier sahen wir Prüfenden den jungen Mädchen entgegen, die es wagen wollten, damals noch ganz neue Bahnen einzuschlagen. Die Prüfung war wohl nicht sehr scharf; denn wir mussten damit rechnen, dass die Vorbildung der Aufzunehmenden sehr verschieden war, dass aber wohl meistens intelligente Mädchen eintreten würden.

Im Ganzen waren es etwa acht bis zehn Mädchen, die aufgenommen wurden. Nun war es in den ersten Schultagen belustigend zu sehen, wie unsere neuen Gymnasiastinnen auftraten und wie sie sich einander anpassten. Einige erschienen in langen Kleidern und hohen Frisuren, andere mit fliegenden Haaren und weißen Kittelschürzen. Nach etwa acht Tagen waren einige Kleider länger, andere kürzer geworden und die Kittelschürzen endlich verschwunden. Das gemeinsame Lernen und Streben vereinte sie bald, und sie hielten fest zusammen. Es wurde im Unterricht außerordentlich viel verlangt; die Schülerinnen mussten ja auch dermaleinst ihr Abiturientenexamen an fremden Knabenschulen ablegen (...). Ostern 1900 kam eine neue Klasse, und nach zwei Jahren zogen wir aus der Stadttöchterschule in der Ludwigstraße in die Sophienschule als Gäste ein. Das ganze Mädchengymnasium war ja reine Privatsache und wurde größtenteils aus Privatmitteln bestritten, die mit unendlichen Schwierigkeiten durch Konzerte, Vorträge, Sammlungen und Vereinsbeiträge aufgebracht wurden. Hinter der Szene sah es oft sehr sorgenvoll aus. Einmal gab es zu Ostern nur drei Anmeldungen. Da war große Beratung, ob die Sache nicht ganz aufgegeben werden sollte, da wirklich in Hannover kein Bedürfnis nach einem Mädchengymnasium zu sein schien (...). Die Vorbildung und besonders das Alter der Schülerinnen war sehr verschieden, da nach und nach manche die neu gebotene Gelegenheit der Ausbildung noch benutzen wollten, nachdem sie schon den Ernst des Lebens kennen gelernt hatten. Einmal schwankte das Alter der Schülerinnen einer Klasse zwischen 14 und 33 Jahren (...). Außerdem bestanden die wunderlichsten Gegensätze. Die eine Schülerin kannte fast nichts von der Welt als ihre Kleinstadt oder ihre Dünen, die andere war in drei Erdteilen zu Hause und schickte von einem langen Sommerurlaub aus dem Yellowstone-Park in Amerika die abenteuerlichsten Ansichtskarten. Die eine war ein unmündiges Kind von einem Mecklenburger Gute, die andere eine frühere Krankenschwester, die eine eine angehende Nonne, die andere eine angehende Schauspielerin.“
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Von den Gymnasialkursen 
zum Mädchengymnasium
Bei allen Erfolgen der „Realgymnasialkurse für Mädchen“ darf die geringe finanzielle Absicherung nicht vergessen werden. Alleiniger Träger war der Verein, finanziert wurde durch Spenden, Beiträge und Schulgelder, Frau Voigt hat das ja Jahre später sehr eindrucksvoll geschildert. Schmidt schreibt in seinem Bericht: „Deshalb musste notwendigerweise die Absicht des Vereins sich dahin richten, die Stadt Hannover zur Übernahme oder wenigstens zu einer Unterstützung für die neue Anstalt zu bewegen (...).“

Allein alle Bemühungen derart waren anfangs vergeblich, die Stadt verhielt sich abwartend; sie gewährte, außer den freien Schulräumen mit Einrichtung, Heizung und Beleuchtung, bis zum Jahre 1902 keine Unterstützung; erst in diesem Jahre bewilligte sie 4000 M jährlichen Zuschuss, von 1904 an 6000 M.“ – „Dafür gebührt ihr Dank!“ fügt er ironisch hinzu.

Am 1. April 1907 sind die Realgymnasialkurse schließlich ganz von der Stadt übernommen und der Städtischen Verwaltung eingegliedert worden. Die kritischen Bemerkungen Schmidts hatten aber ihr Nachspiel, wie das Schreiben des Stadtdirektors Tramm vom 13. Mai 1909 an den Herrn Direktor Dr. Schmidt zeigt: „In dem uns zugegangenen Berichte über die städtischen Realgymnasialkurse für Mädchen für 1899-1909 findet sich, soweit wir sehen, nicht die Nachricht, dass die Kurse seit 1. April 1907 seitens der Stadt Hannover übernommen wurden, sondern nur der mehrfache Hinweis, dass die Stadt nur zögernd an die Unterstützung und Übernahme des Unternehmens herangegangen ist. Wir ersuchen daher um eine gefällige Mitteilung darüber, warum der Übernahme der Anstalt seitens der Stadt, unseres Erachtens eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Anstalt, in dem Berichte nicht gedacht ist. – gez. Tramm.“

Neben den finanziellen Schwierigkeiten, die ja dann ab 1. April 1907 weitgehend ausgeräumt waren, gab es für die Realgymnasialkurse die Erschwernis, dass die Reifeprüfungen nicht im Hause, sondern extern abgelegt werden mussten, an Jungengymnasien mit unbekannten Prüfern, so an den Gymnasien in Goslar und Hameln, am Realgymnasium zu Lüneburg und an der Leibnizschule zu Hannover. Gegenüber ihren männlichen Konkurrenten waren die Mädchen offensichtlich im Nachteil, war doch nicht sichergestellt, dass die Mädchen stets vorurteilsfreie Prüfungskommissionen vorfanden.

1909 nimmt Dr. Schmidt in Angriff, auch diese letzte Schranke niederzureißen, zu erwirken, dass an der Sophienschule selbst die Reifeprüfung abgehalten werden kann, so daß die ehemalige Töchterschule damit gymnasialen Rang erhält. Formal mussten dazu folgende Vorbedingungen erfüllt sein:

1. Der Unterricht war von hauptamtlichen, nach staatlichen Bestimmungen 
    besoldeten Oberlehrern zu erteilen.

2. Die Lehrpläne mussten den geltenden Bestimmungen entsprechen.

3. Die Stadt Hannover hatte eine „Frauenschule“ zu gründen. 

Die ersten beiden Bedingungen waren erfüllt, wie aus dem Antrag Schmidts an das königliche Provinzial-Schulkollegium zu Hannover hervorgeht, allein die Frage der Frauenschule war noch offen. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, um was es sich dabei handelt, vermute aber, dass es ein Gegenstück zu den wissenschaftlichen Ausbildungsstätten sein könnte, ein Institut, in dem die Frauen auf das „Leben“ als Ehefrau und Mutter vorbereitet werden sollten, vermutlich mit viel Handarbeit und Hauswirtschaftslehre.

Wegen der ungeklärten Frauenschulfrage hat das königliche Provinzial-Schulkolle- gium mit Verfügung vom 16. Januar 1910 den Antrag Schmidts abgelehnt. Und nun nimmt sich der Stadtdirektor selbst der Sache an, der Groll gegen Schmidt – wenn er bestanden haben sollte – scheint verflogen, Tramm macht die Sache seines Schuldirektors zu seiner Sache, und er schlägt einen Weg ein, den der an den Dienst-weg gefesselte Schmidt nicht hätte einschlagen dürfen, er wendet sich an den Minister in Berlin, den Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten, wie er damals hieß. Dass vermutlich Tramms Aktivität auch auf seine privaten Interessen zurückzuführen ist, darauf macht der Eintrag zum 23. August in dem Schulbericht zum Schuljahr 1907/1908 aufmerksam; es heißt hier: „Nachdem Ihre Majestät die Kaiserin und Königin durch einen Unfall verhindert ist, hierher zu kommen, so wird beim Empfange auf dem Marktplatz am 26. des Mts der Vortrag eines Gedichtes und das Überreichen eines Blumenstraußes an den Kaiser erfolgen (durch die Schülerin der III b, Marie Tramm).“ Dass diese Marie Tramm nicht irgendeine Tramm ist, die man dem Kaiser ein Gedicht aufsagen lässt, dass es sich sehr wahrscheinlich um die Tochter des Stadtdirektors oder zumindest eine nahe Verwandte handelt, ist zu vermuten. Tramm handelt also auch als Betroffener und im Sinne der Elternschaft, wenn er sich für die Sophienschule einsetzt und den gymnasialen Rang für diese Schule erreichen will. Marie Tramm allerdings wird von der neuen Möglichkeit ihrer Schule keinen Gebrauch machen, in den Abiturientin-nenlisten jedenfalls taucht ihr Name nicht auf. Auch Schmidts Anstrengungen, für seine Schule die Abiturprüfung zu erwirken, haben natürlich einen privaten Aspekt, bieten sich Schmidt doch mit der Aufwertung seiner Schule neue Aufstiegschancen. Es verhält sich hier wie sonst auch: wenn öffentliche Anliegen mit privaten Interessen einhergehen, scheint das für die Durchsetzung ersterer durchaus von Vorteil zu sein.

Aber kehren wir zu der Eingabe von Tramm zurück, die ich aus drei Gründen 
vorstellen möchte: Zum einen zeigt sie das Zusammenwirken der beiden Männer, denen in diesem Zusammenhang unser besonderes Interesse gilt, zum andern erleben wir hier den Stadtdirektor als Befürworter und Förderer der Mädchenbildung, und schließlich ist es das Zeugnis, das uns zeigt, wie das Geschick unserer Schule auf höchster Ebene entschieden wurde. Das Schreiben liegt als Entwurf den Akten bei, ist auf den 8. Februar 1910 datiert, an Seine Excellenz den Minister in Berlin gerichtet und mit dem Kürzel Tramms unterzeichnet:

„Durch Verfügung des Provinzial-Schulkollegiums vom 16. Januar d.J. sind wir davon in Kenntnis gesetzt, dass unserem Antrage auf Anerkennung der hiesigen, mit der Sophienschule verbundenen realgymnasialen Kurse für Mädchen als Studienanstalt nicht stattgegeben sei, dass vielmehr diese Anerkennung erst erfolgen könne, wenn eine bestimmte und bindende Erklärung der Stadtverwaltung über die Errichtung einer Frauenschule vorliege.

Der Grundsatz, der, wie uns bekannt geworden, im Staatsministerium angesprochen sein soll, dass eine derartige Anerkennung generell nur erfolgen könne, wenn zuvor eine Frauenschule geschaffen sei, erscheint uns mindestens nicht gerechtfertigt und zu außerordentlichen Härten führend, in einem Falle wie hier, wo es sich nicht um Neuschaffung dieser beiden Institutionen handelt, sondern lediglich darum, einer bereits seit 10 Jahren bestehenden Studienanstalt, welche auch unter privater Leitung stets ausgezeichnete Erfolge aufzuweisen gehabt hat und die jetzt seit Jahresfrist von der Stadt übernommen ist, eine solche Anerkennung zu erteilen.“ Tramm weist nun daraufhin, dass der Mangel nebenamtlich beschäftigter Lehrkräfte inzwischen längst beseitigt sei, und fährt dann fort: „Um so schwerer muss es uns treffen und um so verstimmender muss es wirken, wenn uns jetzt, nachdem wir erhebliche Opfer für die Anstalt gebracht haben und weiter bemüht sind, unser ganzes höheres Mädchenschulwesen zu heben und zu entwickeln, und ferner beabsichtigen, noch im Laufe dieses Jahres eine Frauenschule ins Leben zu rufen, eine derartige Schwierigkeit bereitet wird. Es würde darin ein direktes Misstrauensvotum gegen unsere Verwaltung liegen, dessen Berechtigung wir bei Lage der Sache nicht anerkennen können.“ Im Folgenden gibt Tramm dann die Erklärung ab, dass er bei den städtischen Kollegien den Antrag auf Errichtung einer Frauenschule stellen werde und dass die städtischen Kollegien „einem von ihm gestellten Antrage zustimmen werden“, und fährt dann fort: „Wir vertrauen, dass diese Erklärung Veranlassung geben wird, der Anstalt die versagte Anerkennung zu verschaffen, damit die Abiturientinnen zu Ostern dieses Jahres die erste Abschlussprüfung vor dem eigenen Lehrerkollegium ablegen können. Sollte die Anerkennung nicht ausgesprochen werden, so würde ein empfindlicher Rückgang der aufblühenden Anstalt eintreten. Denn nicht allein die Zahl der Anmeldungen wird dann erheblich zurückgehen, sondern es werden – durch die unsicheren Aussichten abgeschreckt – viele Eltern der die Anstalt gegenwärtig besuchenden Schülerinnen ihre Kinder abmelden, wodurch neben allen anderen unangenehmen Begleiterscheinungen ein bedeutender finanzieller Ausfall für die Stadt entstehen würde. Mit Rücksicht auf den nahe bevorstehenden Termin der Prüfung bitten wir um möglichst beschleunigte Entscheidung auf unseren Antrag.   gez. Tr.“

Ein weiteres Schreiben Tramms, auch am 8. Februar 1910 datiert und als Konzept den Akten beigefügt, ist an den Wirkl. Geheimrat Dr. Schwartzkopf aus dem Ministerium, Unter den Linden 4, gerichtet. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass Tramm selbst in dieser Angelegenheit in Berlin im Ministerium vorstellig gewesen ist, zwar Dr. Schwartzkopf als Gesprächspartner verfehlte, aber in einer Aussprache mit einem Geh. Rat Meyer seine und Schmidts Vorstellungen zur Reifeprüfung an der Sophienschule vorgetragen hat. Mehr persönliche Verwendung hätte sich unsere Schule und hätte sich Hermann Schmidt nicht wünschen können!

Die Interventionen des auch in Berlin bekannten und geschätzten Stadtdirektors haben ihre Wirkung nicht verfehlt: Das Kgl. Provinzial-Schulkollegium teilt dem Magistrat der Stadt am 16. April 1910 mit, dass der Minister durch Erlass „die mit der hiesigen Sophienschule verbundenen realgymnasialen Kurse für Mädchen als ‚Studienanstalt der realgymnasialen Richtung‘ anerkennt“. Der Schritt von der Höheren Töchterschule zum Gymnasium ist damit vollzogen.

Ich breche hier ab. In den Jahren 1897-1910 fallen der Aufbau einer neuen Höheren Töchterschule, unserer Sophienschule, und die Entwicklung der Frauenbildung in Hannover zusammen. Ab 1910 bilden sie eine Einheit; wenn man so will, hat die Sophienschule das Erbe der Frau Kettler und ihrer „Frauenbildungs-Reform“ angetreten. Ihr ersonnenes Projekt „Mädchengymnasium“ war in der Gestalt der Sophienschule Wirklichkeit geworden. Aber wie das so zu sein pflegt: Mit dieser Verwirklichung verlor die Sophienschule zugleich ihre Rolle als Vorkämpferin. Die Idee der Frauenbildung hatte sich durchgesetzt, und bald war die Sophienschule nur eine von vielen Schulen ihrer Art. Eine wahrhaft historische Bedeutung, den Weg zum ersten Mädchengymnasium in der Provinz Hannover erkämpft zu haben, bestand nur in den Anfängen der Schule, und das nur für wenige Jahre. Historisch Bedeutsames kann, wie in unserem Falle, sehr bescheiden, sehr nüchtern und bisweilen auch mit persönlichen Unzulänglichkeiten behaftet in Erscheinung treten, und es wird nicht immer in seinem Umfang wahrgenommen. 


Wolfgang Kühnemann

.© 2002 Sophienschule Hannover