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KINDERLANDVERSCHICKUNG
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Die erweiterte
Kinderlandverschickung
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von
1943 bis 1945 und ihre Auswirkungen auf die Erziehung, die Schulbildung
und die Schulabschlüsse am Beispiel von Schülerinnen der Sophienschule |
Zunächst
möchte ich den Begriff „erweiterte KLV“ kurz erläutern, da mir
bei Gesprächen über mein Thema deutlich geworden ist, dass dieser
Begriff nicht jedem bekannt ist.
Der Begriff „KLV“ ist nicht
erst von den Nationalsozialisten eingeführt worden. Er existierte
vielmehr schon zu Zeiten des Kaiserreiches und bezeichnete die soziale
Leistung der damaligen Zeit, aus sozial schwachen Verhältnissen stammende
Kinder in den Ferien insbesondere aus den Großstädten aufs Land
zu bringen, damit sie sich dort erholen konnten. Dieser soziale Dienst
wurde von karitativen und kirchlichen Organisationen organisiert und finanziert.
In der Zeit der Weimarer Republik wurden diese Verschickungen systematisch
von den Kirchen und auch von der Arbeiterwohlfahrt in den Industriegebieten
durchgeführt. Auch nach 1933 gab es diese Einrichtungen weiterhin,
doch sie hatten außer dem Namen nicht sehr viel mit der KLV während
des zweiten Weltkrieges zu tun. In der Zeit des zweiten Weltkrieges wurde
diese Maßnahme in erster Linie ergriffen, um die Kinder im Alter
von etwa 10 bis 14 Jahren aus den Großstädten vor den schweren
Bombenangriffen, die in den Städten verheerende Schäden anrichteten
und die Zivilbevölkerung aufs Schwerste betrafen, in Schutz zu bringen,
ohne aber gegenüber der Bevölkerung eingestehen zu müssen,
in welcher bedrohlichen Lage sich Deutschland tatsächlich bereits
zu dieser Zeit befand. Daher ist der Begriff hier ein Synonym für
eine großräumige Evakuierung der Kinder aus den Großstädten.
Meine Ausführungen
beziehen sich auf eine spezielle Form der KLV und hierbei nur auf eine
bestimmte Gruppe von Betroffenen.
Anlass für die von
mir untersuchte besondere Form der KLV waren die durch Bombenangriffe entstandenen
Schäden an der Sophienschule. Im Oktober 1943 wurde die Sophienschule
dabei so zerstört, dass dort kein Unterricht mehr stattfinden konnte.
Anders als bei den seit 1940 von nationalsozialistischen Organisationen
veranstalteten KLV wurden aufgrund der Zerstörung der Schule aber
Schülerinnen aller Jahrgänge der Sophienschule verschickt. Ich
habe mich bei meinen Untersuchungen auf die Schülerinnen konzentriert,
die 1943 in das KLV-Lager nach Treseburg gekommen sind. Dies waren nach
gesicherten Erkenntnissen Schülerinnen der 5. bis 8. Klassen (Mittel-
und Oberstufe), während ich in der zur Verfügung stehenden Untersuchungszeit
aufgrund unklarer Quellen nicht abschließend habe klären können,
ob auch Schülerinnen der 4. Klassen in diesem Lager waren. Um das
Thema so umfassend und objektiv wie möglich zu bearbeiten, habe ich
ganz unterschiedliche Quellen analysiert: einerseits Quellen aus dem Stadtarchiv
und dem Schularchiv, andererseits auch Reden der Abiturientinnen der Jahrgänge
1944-1948 anläßlich ihres Goldenen Abiturs 1994-1998. Darüber
hinaus habe ich mindestens eine Zeitzeugin aus jedem der jeweiligen in
Treseburg vertretenen Jahrgänge ausfindig gemacht und befragt. Dabei
habe ich berücksichtigt, dass Schülerinnen sowohl des sprachlichen
als auch des hauswirtschaftlichen Zweiges an der KLV teilgenommen haben.
Als Ergänzung zu der Methode der mündlich erfragten Geschichte
(„oral history”) habe ich Photos und Zeichnungen aus der Zeit in Treseburg
ausgewertet, um die bei Zeitzeugenbefragungen möglicherweise auftretende
Subjektivität der Ergebnisse zu minimieren.
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Anlaß,
Umfang und Ende der Maßnahme der KLV |
Aus
den mir zur Verfügung stehenden Akten ist zu ersehen, dass die erste
erweiterte KLV, an der Schülerinnen der Sophienschule beteiligt waren,
Anfang des Jahres 1941 begonnen hat. Hierbei handelte es sich nur um die
sehr kleine Anzahl von insgesamt 49 Kindern einschließlich Helferinnen.
Diese kamen alle aus den Klassenstufen 1-5, was nach heutiger Zählweise
den Jahrgängen 5-9 entspricht. Der Trend der Eltern bestand jedoch
eher darin, ihre Kinder privat zu verschicken oder weiterhin in Hannover
die Sophienschule besuchen zu lassen. Dieses bestätigen die Zahlen
vom 17.4.1941, wonach 111 Schülerinnen der Sophienschule privat Hannover
verlassen haben und 349 an der Schule geblieben sind. Die Gründe dafür
waren sehr unterschiedlich. Die meisten Eltern standen der Maßnahme
eher kritisch gegenüber, da sie aus unterschiedlichen Quellen von
Unzulänglichkeiten bei der Organisation gehört hatten. Es bestanden
Gerüchte, dass nicht für ausreichend Verpflegung gesorgt wäre,
die Kinder im Krankheitsfall nicht entsprechend versorgt würden etc.
Ich vermute jedoch, dass der Hauptgrund vieler Eltern die Angst vor noch
größerem Einfluß der HJ auf ihre Kinder, der zweifelsfrei
in den Lagern bestanden hat, gewesen ist. Diese Eltern wollten das verhindern,
da die Erziehung der HJ hauptsächlich auf der nationalsozialistischen
Doktrin basierte, während viele Eltern ihrer Kinder zu selbständigen
Individuen erziehen wollten. Einige wollten auch einfach nur ihre Kinder
bei sich zu Hause haben, was gerade auf Mütter zutrifft, deren Männer
im Krieg waren.
Es
befanden sich noch ca. 413 Schülerinnen der zweiten bis achten Klassen
sowie eine unbestimmte Zahl an Erstklässlern auf der Sophienschule,
als der Dachstuhl des Gebäudes der Sophienschule in der Nacht vom
8. auf den 9. Oktober 1943 bei einem Bombenangriff zerstört wurde.
Infolgedessen konnte dort kein Unterricht
Haus Forelle,
Treseburg
mehr stattfinden, die Wahlmöglichkeiten
der Schülerinnen bestanden lediglich da-rin, die Schule zu wechseln,
privat in die weniger bedrohten Gebiete auszuweichen oder sich mit der
gesamten Lehrerschaft und vielen aus der Schülerschaft in die KLV
zu begeben. Deshalb nahm an der Verschickung vom 28.10.1943 erstmals auch
ein Teil der Schülerinnen der oberen Klassen teil. So kamen nach meiner
Recherche 126 von etwa 180 möglichen Schülerinnen nach Treseburg,
einem im östlichen Teil des Harzes gelegenen Dorf mit rund 250 Einwohnern.
Allerdings stimmen die Angaben im Stadtarchiv über die Anzahl der
verschickten Schülerinnen nicht mit denen meiner Zeitzeugen überein.
So fehlen zum Beispiel auf der offiziellen Liste einzelne Schülerinnen
bzw. eine ganze Klasse, die nachweislich an der Verschickung teilgenommen
haben bzw. hat, andererseits sind zwei Jahrgänge auf der Liste von
Treseburg, die laut Zeugenaussagen in Hasselfelde untergebracht waren.
Nach den mir zur Verfügung stehenden Quellen waren die unteren Klassen,
1 bis 4, im Nachbarort Hasselfelde einquartiert. Die Tatsache, dass zu
diesem Zeitpunkt bereits fast jede Nacht ein oder sogar zwei Bombenangriffe
auf Hannover stattfanden und trotzdem ein erheblicher Teil der Eltern ihre
Kinder nicht mit der NSV in die KLV-Lager mitschickte, macht die geringe
Akzeptanz der Maßnahme noch einmal sehr deutlich. Zu diesem Zeitpunkt
ist nämlich die Theorie, der geringe Zuspruch komme auch daher, dass
die Eltern den Aufenthalt in Hannover nicht für gefährlicher
hielten als den auf dem Land, nicht mehr haltbar.
Bis zum Ende des Krieges
hat sich nach meinen Erkenntnissen die Anzahl der verschickten Kinder der
Sophienschule nach Treseburg nur unwesentlich verändert. Statt der
anfänglich ca. 126 sollen sich bis zum Februar 1945 117 Schülerinnen
in Treseburg befunden haben.
Es stellt sich die Frage,
ob man bei der KLV von einer gelungenen Maßnahme sprechen kann, wenn
man bedenkt, dass – bezogen auf die beiden genutzten Lager – nicht einmal
die Hälfte der Schülerinnen daran teilgenommen hat. Noch erschreckender
sind Zahlen für ganz Hannover, nach denen sich im Juli 1944 nicht
nur etliche Schüler in Hannover befanden, sondern sogar ca. 10.350
schulpflichtige Jugendliche zwischen sechs und vierzehn Jahren nicht mehr
in die Schulen gingen.
Das Ende der Maßnahme
kam für die letzten Sophienschülerinnen im April 1945 kurz vor
der Ankunft der Amerikaner. Direktor Bartels hatte sich geweigert, die
Schülerinnen den Anweisungen der Partei entsprechend zu so genannten
Wehrwölfen auszubilden, die den letzten Widerstand gegen die vordringenden
späteren Siegermächte aufrechterhalten sollten. Er wurde daraufhin
von der Lagermädelführerin, die eine ehemalige Schülerin
von ihm war, denunziert, dann verhaftet und bis zum Kriegsende in Blankenburg
inhaftiert. Nach seiner Verhaftung haben die Lehrkräfte, da zudem
die Ankunft der Amerikaner in Treseburg absehbar war, der Auflösung
des Lagers zugestimmt. Die Abreise der Schülerinnen und der Lehrkräfte
fand am folgenden Tag sehr überstürzt statt, so dass jeder nur
das Nötigste mitnehmen durfte.
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Der
Alltag im Kinderland-
verschickungslager (KLV):
Die Unterbringung und
Versorgung |
Die älteren Schülerinnen
der Sophienschule, also die der Klassen 5 bis 8, wurden nach ihrer Ankunft
Ende 1943 in dem Hotel „Forelle” in Treseburg untergebracht. Der Direktor,
Herr Bartels, zog mit seiner Frau und seiner Tochter in ein anderes Haus
am Ort. Praktisch alle Häuser, die als KLV-Lager genutzt wurden, sind
vorher beschlagnahmt worden, wobei die ehemaligen Besitzer eine Entschädigung
bekamen und ihre Häuser nach Abschluß der Maßnahme zurückerhalten
sollten.
Einige Gästezimmer im
Haus „Forelle“ waren für eine Belegung von zwei Personen angelegt
gewesen, jedoch sollen in der Zeit von 1943 bis 1945 sechs Betten – jeweils
zwei übereinander – in einem Zimmer gestanden haben. Andere Zimmer
sollen sogar 4 bzw. 5 doppelstöckige Betten enthalten haben, so dass
nur noch mehrere Hocker als Nachttische und ein Tisch im Raum Platz hatten
und „Spinde“ für die persönlichen Sachen der Schülerinnen
auf den Fluren stehen mußten. Die Schülerinnen eines Zimmer
mußten sich in jedem Fall ein Waschbecken, das sich im Zimmer befand,
teilen. Drei meiner Zeitzeugen empfanden diese Tatsache als furchtbar,
zwei andere störte sie nicht: „Natürlich war das Haus und die
Unterbringung recht einfach, aber ich habe auch nie versucht, das Lager
mit meinem Elternhaus zu vergleichen.“ Auch aus anderen schriftlichen Erinnerungen
von ehemaligen Schülerinnen geht hervor, dass die einzelnen dieses
unterschiedlich empfunden haben.
Diese unterschiedliche Bewertung
läßt sich auch wissenschaftlich erklären: „Autobiographische
Zeugnisse sind Dokumente der subjektiven Verarbeitung und Bewältigung
von gesellschaftlicher Realität. Sie dokumentieren, welches Verhältnis
das Individuum zu seinen Lebensbedingungen gewonnen hat.“ Um mir selbst
ein Bild zu machen, habe ich mich um Photos, die die tatsächliche
Situation zeigen, bemüht und diese ausgewertet. Aus diesen schließe
ich, dass insbesondere der Bericht von Frau Hakemeyer eine zu negative
Darstellung über das gesamte Leben dort gibt. Die Zimmer waren in
der Tat nicht groß, da sie eigentlich für eine deutlich niedrigere
Belegungszahl vorgesehen waren. Aber angesichts des Krieges und der damit
einhergehenden außerordentlichen Beschwernisse, unter denen auch
die gesamte Zivilbevölkerung in Deutschland zu leiden hatte, scheint
mir die Unter-bringung im Grunde durchaus zumutbar gewesen zu sein.
Es war für das ganze
Haus allerdings nur ein Badezimmer verfügbar, das jede Schülerin
einmal in der Woche für eine Stunde nutzen durfte. Das Haus besaß
zudem keine intakte Heizung mehr. Daher bestand nur die Möglichkeit,
die Zimmer mit einzelnen Öfen zu heizen, mit denen aber ein Großteil
der Schülerinnen gar nicht umgehen konnte.
Die Versorgung mit Nahrungsmitteln
soll am Anfang für Kriegsverhältnisse sehr gut gewesen sein,
so dass Schülerinnen sogar Teile ihrer Lebensmittelrationen nach Hause
schicken konnten. Nur Butter und Eier habe es sehr wenig gegeben. Einer
anderen Schülerin ist besonders der Mangel an Fleisch in Erinnerung
geblieben. Schon damals hat sie dies in Zeichnungen festgehalten. Auf diesen
hat sie dargestellt, dass sie von Kartoffel und Soßen volle Töpfe
hatten, während sie die Fleischration eines jeden auf die Teller verteilen
und trotzdem problemlos die Teller übereinander stapeln konnten. Erst
gegen Ende des Jahres 1944 litten die noch verbliebenen Schülerinnen
oftmals unter Hunger, da aufgrund des harten Winters viele Lieferungen
gar nicht mehr oder nur mit großer Verzögerung nach Treseburg
gelangten. So bekamen die Schülerinnen manchmal einige Tage lang zum
Frühstück lediglich eine Tasse aus Pulver aufgelöste Buttermilch
und zum Mittag drei Kartoffeln mit einem Eßlöffel Soße.
Einigen ist dieses nicht in Erinnerung geblieben. Ich
denke, das liegt daran, dass diese z.B. Lebensmittelmarken von ihren Eltern
geschickt bekamen. „Ich erinnere mich, dass meine Mutter meine letzte Puppe
Weihnachten 1944 in eine Mettwurst eintauschte, die ich dann in Treseburg
wehmütig verzehrte – wegen der Puppe!“
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Der
Tagesablauf |
Bevor die gesamte Schülerschaft
zum allmorgendlichen Appell antrat, mussten jeden Morgen die Betten bzw.
das ganze Zimmer von den Bewohnerinnen aufgeräumt werden. Die Zimmer
wurden im Verlaufe des Tages von der Lagermädelführerin, einem
BDM-Mädel, auf Sauberkeit und Ordentlichkeit kontrolliert, was sich
Stubenappell nannte. Keiner der befragten Zeitzeugen hat diese Stubenappelle
als Belastung empfunden, da die Lagermädelführerin in Treseburg
wenig Einfluß hatte und dem Schul- und Lagerleiter, Herrn Bartels,
untergeordnet war. Aus anderen gedruckten Biographien und Dokumentationen
entnehme ich allerdings, dass dies nicht in allen KLV-Lagern der Fall war.
Das Frühstück gab
es erst nach dem Frühsport. Für den reibungslosen Ablauf waren
unter anderem auch Schülerinnen zuständig, die den Tisch auf-
und abdecken, das Essen bringen und Kaffee einschenken mußten. Im
Anschluss daran waren die Lehrerinnen und Lehrer für den gesamten
Vormittag für die Erziehung und Bildung ihrer Schülerinnen zuständig.
Nach dem Mittagessen hatten die Schülerinnen Freizeit, bis das tägliche
Programm für den Nachmittag und den Abend begann. Dieses erarbeitete
die Lagermädelführerin teilweise in Absprache mit dem Lagerleiter
und hatte dann die Oberaufsicht darüber.
Bei diesem Tagesablauf, der
auf die meisten KLV-Lager anwendbar ist, sollte den Schülerinnen,
ganz im Sinne der nationalsozialistischen Doktrin, kaum die Möglichkeit
zur freien Entfaltung gelassen werden. So sollten die Schülerinnen
und Schüler durch die ständigen Zugriffsmöglichkeiten der
Lagermädelführerinnen bzw. des Lagermannschaftsführers,
die dort in ihrer Funktion als BDM- bzw. HJ-Mitglied tätig waren,
beeinflusst werden. Auch der Tagesablauf an sich ließ kaum Zeit,
etwas von sich aus zu tun, was ein klares Beispiel für die bewußte
Unterdrückung des Prozesses der Selbständigkeit ist.
In der Praxis soll es in
Treseburg aber ganz anders ausgesehen haben. Die Freizeitgestaltung war
den Schülerinnen weitgehend selbst überlassen.
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Der
Unterricht |
Der Unterricht in Treseburg
fand morgens zwischen der ersten und der zweiten Mahlzeit statt. Nach Angaben
der Zeitzeugen wurden mehr Stunden als zuvor erteilt, und der Unterricht
fand geregelter statt. Das lag daran, dass in Hannover jeweils die erste
Stunde ausfiel, wenn es in der Nacht zuvor einen Bombenalarm gegeben hatte,
und die ersten beiden, falls die Schülerinnen zweimal in der Nacht
die Luftschutzkeller hatten aufsuchen müssen, was im Herbst 1943 bereits
häufiger vorkam.
Es wurden alle Fächer
erteilt. Die Unterrichtsmöglichkeiten unterschieden sich aber zum
Teil nicht unerheblich von denen in Hannover, z.B. in den Fächern
Physik und Chemie. „Physik und Chemie war nur graue Theorie.“ Unterrichtsversuche
konnten weitestgehend nicht durchgeführt werden, da hierfür die
Geräte und die räumlichen Gegebenheiten fehlten. Die Angaben
über den Ort, in dem für die Klassen mit dem Schwerpunkt Hauswirtschaft
der Kochunterricht stattfand, sind widersprüchlich. Frau Lambrecht
ist sich sicher, dass der Unterricht in der „Lubbode“, einem unwesentlich
entfernten Gebäude stattfand. Eine ehemalige Mitschülerin, Frau
Hakemeyer, beschreibt dagegen, dass sie für ihren Unterricht im Fach
Kochen mit dem Postbus nach Blankenburg fahren mußten, weil nur dort
die entsprechende Kapazität der Übungsräume vorhanden war.
Auch über die Räumlichkeiten,
in denen der restliche Unterricht stattgefunden haben soll, stimmen die
Aussagen verschiedener Zeitzeugen nicht überein. Ingrid Krutemeyer
schreibt, dass jeder Klasse ein ehemaliger Speiseraum für den Unterricht
zur Verfügung gestellt wurde. Dagegen kann sich Frau Dr. Elisabeth
Engelmann nicht nur daran erinnern, dass der Unterricht ihrer Klasse in
ihrem Zimmer erteilt worden ist; aus ihren Zeichnungen aus dem Jahre 1943
geht hervor, dass in ihrem Schlafzimmer kein Platz für eine Tafel
war, so dass die Schülerinnen mit Kreide auf den Linoleumfußboden
schrieben. Die Schülerinnen mit Gummisohlen unter ihren Schuhen benutzten
diese hinterher als Schwamm.
Von Montag bis Samstag wurden
jeden Tag vier Stunden Unterricht in den wissenschaftlichen Fächern
erteilt, wie es in den Lehrplänen vorgeschrieben war. Hinzu kamen
noch einige Stunden in den Fächern Musik, Sport und Nadelarbeit.
Die Qualität der anderen
erteilten Fächer dürfte sich in der Regel gegenüber dem
Unterricht in Hannover nicht gravierend verschlechtert haben, da die Lehrpläne
weiterhin ihre Gültigkeit behielten und die selben Lehrer, die in
Hannover an der Sophienschule unterrichtet hatten, auch in Treseburg für
den jeweiligen Unterricht zuständig waren.
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Die
Freizeitgestaltung |
Fast alle Schülerinnen
haben die Freizeitgestaltung in dem KLV-Lager in Treseburg als angenehm
empfunden.
Die Schülerinnen hatten
jeden Tag einen Teil des Nachmittags zur freien Verfügung. In dieser
Zeit konnten sie mit anderen Mitschülerinnen oder auch allein in ihren
Zimmern bleiben, Tennis spielen oder sich im Dorf und in der Umgebung aufhalten.
Ingrid Krutemeyer beschreibt in ihren Erinnerungen sehr ausführlich,
wie sie beispielsweise mit ihrer Freundin außerhalb des Lagers auf
einem verwilderten Friedhof Schularbeiten gemacht, gelesen und mit ihr
über das Leben und ihre Ängste gesprochen hat. Im restlichen
Teil der Freizeit fanden Gemeinschafts- veranstaltungen statt. Hierbei
herrschte Anwesenheitspflicht, jedoch wurde die Teilnahme von den meisten
nicht als Zwang empfunden. „Das (die Gemeinschafts- veranstaltungen) waren
doch alles Abenteuer, die irgendwie prägend auf uns gewirkt haben,
wie überhaupt diese schweren Zeiten einen Teil unserer Lebenserfahrungen
ausmachen.“ Zu den vielfältigen Veranstaltungen gehörten unter
anderem Ausflüge, z.B. ein Besuch bei Prinz Ernst-August und Prinzessin
Viktoria-Luise von Hannover und ihren Kindern auf deren Besitz in Todtenrode.
Die Ausflüge und Besichtigungen wurden gleichzeitig zur Weiterbildung
genutzt. Außerdem fanden Sportwettkämpfe, z.B. im Schwimmen,
statt. Auf Photos ist die Fröhlichkeit der meisten teilnehmenden Schülerinnen
deutlich erkennbar. An den Abenden wurden ebenfalls Gemeinschaftsveranstaltungen
durchgeführt.
Lediglich eine Schülerin
hat sich sehr negativ über die Freizeitgestaltung geäußert:
„Schule, Schularbeiten, Hausdienste, Gemeinschaftsveranstaltungen, das
In-Ordnung-Halten der persönlichen Sachen, dazu die beengte Unterbringung,
die u.U. auch Zeit kostete, weil man sich wegen irgendeiner Unruhe nicht
recht konzentrieren konnte oder weil man auf irgendeine Benutzungsmöglichkeit
warten mußte, nicht zuletzt der streng eingeteilte, unflexible Tagesablauf,
das alles ließ wenig Freiheit und Freizeit zu.“ Die Darstellung,
der ich das Zitat entnommen habe, hat heftige Gegenreaktionen von etlichen
anderen ehemaligen Treseburgerinnen hervorgerufen. In einer Gegendarstellung
sind sie zusammengefaßt worden. „So negativ hat dies keine von uns
gesehen, und niemand hätte die Legitimation, in unser aller Namen
so destruktiv zu berichten. Wir hatten einen sehr liberalen Tagesablauf.
Ich kann das beurteilen, denn ich war vorher einige Monate in einem HJ-Lager
in Bad-Harzburg gewesen, mit Schulunterricht an einem örtlichen Jungengymnasium.
Da herrschte ein Drill, dass mir das Leben in der „Forelle“ dann wie im
Himmel vorkam.“ Auch hier gilt wieder, dass ein und dasselbe Ereignis von
verschiedenen Schülerinnen unterschiedlich wahrgenommen und bewertet
wird.
Hinsichtlich der Frage, inwieweit
sie in ihrer Freizeit mit den nationalsozialis-
tischen Ideen konfrontiert
wurden, stimmen jedoch alle Aussagen überein. Sie
negieren dies alle. Vielmehr
war es sogar so, dass der gesetzlich eingeführte BDM-Dienst in Treseburg
fast vollständig entfiel und in den Arbeitsgruppen, die überhaupt
nur für kurze Zeit und unter Beteiligung der Lehrkräfte stattfanden,
selbst wenn ihnen nationalsozialistische Themen zugrunde lagen, ganz andere
Themen behandelt wurden. Eine Lehrerin veranstaltete z.B. zu dem von dem
BDM vorge-
gebenen Themenbereich „Glaube
und Schönheit“ einen Lichtbildervortrag über antike Kunst.
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Die
Auswirkungen der KLV
auf die Schulbildung
und die Erziehung |
Von den KLV-Organisationen
wurde propagiert, dass das Leben in den KLV-Lagern besser sei als in den
Städten. Angeblich fand mehr und durch die besseren Bedingungen auch
qualifizierterer Unterricht statt, so dass die Schülerinnen und Schüler,
die an der Maßnahme teilnahmen, eine qualifiziertere Schulausbildung
erhalten sollten als die zu Hause gebliebenen.
Das hört sich sehr positiv
an. Doch wie war es in Wirklichkeit? Dass in Treseburg mehr Unterricht
als in Hannover stattgefunden hat, ist oben dargelegt worden. Aus einem
Bericht des Schulleiters entnehme ich, dass der Unterricht dort auch gemäß
den alten Richtlinien stattfand. Aus dem folgenden Zitat von Frau Lockemann
aber „Wir hatten mehr Unterricht, aber ob wir dadurch mehr gelernt haben,
ist eine andere Frage!“ wird deutlich, dass die Frage, ob die Schülerinnen
und Schüler in der KLV mehr gelernt haben, nicht so einfach zu klären
ist. Frau Lambrecht kommt aufgrund ihrer Korrespondenz mit einer ehemaligen
Klassenkame-radin zu der Einschätzung, dass die Sophienschule in den
einzelnen Fächern im Stoff viel weiter gewesen ist als andere Schulen.
Wie sie loben viele weitere
ehemalige Sophienschülerinnen,
wie positiv sich die KLV auf ihre Bildung und Erziehung ausgewirkt hat.
„Und die Mühe und das Geschick unser Lehrerinnen und Lehrer, uns unter
den damaligen schweren Bedingungen doch das Wichtigste mitzugeben, erkennen
wir noch heute dankbar an. Denn trotz all dieser Schwierigkeiten wurden
uns neben der Fähigkeit zum logischen Denken eine gute Allgemeinbildung
und auch Normen und Werte vermittelt, denn Sophokles und unsere Klassiker
zu lesen, war nicht verboten. Der Unterricht hat uns eine so gute Basis
vermittelt, daß wir später stets darauf aufbauen und unsere
Lücken stopfen konnten.“ Diese Aussage wird auch durch die folgende
gestützt: „So lernten wir schon als Kinder, im intensiven Miteinander
Gegensätze zu bewältigen, soziale Kräfte bewußt und
sinnbezogen zu erleben, Solidarität in der Gemeinschaft und mit Schwächeren
zu entwickeln. Schlüsselqualifikationen würde man heute dazu
sagen“. Diese Aussagen lassen darauf schließen, dass die Bemühungen
der Lehrer und Lehrerinnen, sowohl den Schülerinnen eine gute Schulbildung
zu vermitteln als auch sie zur Selbständigkeit zu erziehen, von Erfolg
gekrönt waren. In Treseburg scheinen die Schülerinnen gut auf
ihr weiteres Leben vorbereitet worden zu sein.
Ich habe bereits dargelegt,
dass das KLV-Lager von den Nationalsozialisten unter anderem dazu gedacht
war, die nationalsozialistische Doktrin den Schülerinnen und Schülern
näherzubringen. Dies ist ihnen nach meinen Untersuchungen in Treseburg
nicht gelungen, d.h. eine Erziehung im Sinne des Nationalsozialismus hat
glücklicherweise nicht stattgefunden. Hierfür gibt es unterschiedliche
Ursachen. Zum einen war der größte Teil der Lehrerinnen und
Lehrer sehr konservativ und selbst nicht überzeugt von der Doktrin
der Nationalsozialisten: „Durch einige ausgezeichnete Lehrerinnen habe
ich in und nach der Nazizeit gelernt, was Inter-nationalität bedeuten
kann.“ Zum anderen lag es auch an dem minimalen Einfluß der Lagermädelführerin
auf den Schulleiter und damit auf die Schülerinnen. „Geführt
wurden die Lager in der Regel von einer BDM-Führerin, aber in unserem
Fall haben wir wenig davon gemerkt, das ‚Sagen‘ hatte die Schulleitung.“
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Die
Auswirkungen der KLV
auf den Schulabschluß |
Ich habe die Abiturjahrgänge
von 1944-1948, die von 1943 an im KLV-Lager in Treseburg waren, daraufhin
untersucht, wie viele Schülerinnen im Verhältnis zur Klassenstärke
das Abitur als Abschluß erreicht haben. Im Abiturjahrgang 1943, der
exemplarisch für die Zeit vor der KLV steht, haben fast alle Schülerinnen
den Abschluß bekommen. So bekamen am 25.3.1943 19 von 20 Schülerinnen
der 8s1, 18 von 19 Schülerinnen der 8s2, sowie alle 16 Schülerinnen
der 8h ihr Abitur ausgehändigt.
Über den Abiturjahrgang
1944 sind die Unterlagen weder im Stadtarchiv abgelegt noch vollständig
in der Sophienschule auffindbar. Es ist anzunehmen, dass die Unterlagen
am Ende des Krieges 1945 zusammen mit dem Großteil der anderen in
Treseburg gelagerten Akten über die Sophienschule verbrannt sind.
Meine folgenden Aussagen beziehen sich daher auf die Angaben von einer
Abiturientin des Jahrgangs 1944. Dieser Jahrgang war der erste und einzige,
der in Treseburg eine Abiturprüfung abgelegt hat. Der Termin wurde
vorgezogen auf Ende Januar 1944, was die Schülerinnen erst nach den
Weihnachtsferien erfuhren. Einige schon geschrie-bene Arbeiten wurden nachträglich
zu Abiturklausuren erklärt, und das mündliche Abitur, bei dem
fast jeder nur in seinem Wahlfach geprüft wurde, fand an einem einzigen
Tag statt. An diesen Prüfungen für die Klasse 8s nahmen sowohl
die 13 Schülerinnen teil, die seit einem halben Jahr in Treseburg
waren und Unterricht bekamen, als auch ca. 13 Schülerinnen, die in
Hannover die Elisabeth-Granier-Schule besuchten, jedoch für die Prüfungen
nach Treseburg gekommen waren. Alle haben das Abitur bestanden. Von den
13 Schülerinnen, die in Treseburg waren, studierten nach dem Krieg
mindestens 10, von denen, die in Hannover geblieben waren, nur etwa 5.
Dieses spricht dafür, dass sich der Aufenthalt im KLV-Lager für
diesen Jahrgang nicht negativ auf das Bestehen des Abiturs und die spätere
Ausbildung ausgewirkt hat. Auch die 10 von mir ermittelten Schülerinnen
der 8h, die ihre Prüfungen in Treseburg absolviert haben, bestanden
das Abitur. Ich kann nicht sagen, ob, und wenn ja, wie viele von ihnen
später studiert haben.
Der darauffolgende Abiturjahrgang
1945 bekam, unabhängig davon, wer in der KLV gewesen war oder nicht,
ohne Prüfungen bereits im Januar das sogenannte Notabitur. Sie waren
seit einem halben Jahr nicht mehr in die Schule gegangen bzw. im KLV-Lager
gewesen, weil sie einen Arbeitsdienst bzw. Kriegsdienst zu
leisten hatten. Nach dem
Krieg wurde dieses Notabitur von den Alliierten nicht anerkannt, so dass
Schülerinnen wie Frau Rohrmann später einen Kurs absolviert haben,
um eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben. Sie wurden mit Schülern
anderer Schulen ein halbes Jahr lang auf die Prüfung vorbereitet,
die von einer Abordnung des Kultusministeriums abgenommen wurde und in
drei Fächern freier Wahl erfolgte. Wie viele ehemaligen Sophienschülerinnen
diese Prüfung abgelegt haben, ist nicht genau bekannt. Denn die Schülerinnen
hatten ihren Kriegs-einsatz an verschiedenen Orten zu absolvieren und sind
danach nicht alle wieder in Kontakt zueinander getreten. Von 17 Schülerinnen
der ehemaligen Klasse 8s dieses Jahrgangs haben mindestens 6 ein Studium
abgeschlossen. Jedoch stellt sich bei diesem Jahrgang nicht die Frage,
ob die Schülerinnen allein von ihrem Intellekt und ihrem Wissen fähig
gewesen wären, die Prüfungen für die Hoch-schulzugangsberechtigung
zu bestehen bzw. ein Studium zu absolvieren. Vielmehr hatten einige als
Folge des Krieges gar nicht die finanziellen Mittel, noch länger in
die Schule bzw. auf die Universität zu gehen, sondern mußten
arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ein weiteres
Problem bildete für diesen Jahrgang die Bevorzugung der Kriegsheimkehrer
bzw. der Männer bei der Vergabe der knapp bemessenen Studienplätze.
Im Jahre 1946 fand kein Abitur
statt, da nach Beendigung des Krieges von Mai bis Oktober 1945 kein Unterricht
erteilt werden konnte. Als dieser im November wieder aufgenommen wurde,
sind die Schülerinnen und Schüler aller Schulen ein Jahr zurückgestuft
worden.
Dieser Abiturjahrgang hatte
am Ende drei Klassen (eine 12s1, eine 12s2 und eine 12h). Auch für
diesen Jahrgang fehlt eine offizielle Abiturliste, und es ist nicht einmal
eine rekonstruierte für alle drei Klassen vorhanden. In der 12s1 befanden
sich unter den 29 Schülerinnen die 17 aus dem sprachlichen Zweig,
die in Trese-burg gewesen sind. Bis auf zwei Ausnahmen, von denen die eine
bereits früher das KLV-Lager verlassen hatte und die andere nach Beendigung
des Krieges keinen Kontakt mehr zu den ehemaligen Schülerinnen aufgenommen
hat, sind alle Schüle-rinnen mit sprachlichem Schwerpunkt an die Sophienschule
zurückgekehrt. Aus der Klasse haben 27 von 29 das Abitur bestanden,
wobei die beiden, die das Abitur nicht bestanden haben, nicht in Treseburg
waren. So ist auch in diesem Jahrgang – zumindest bei den Schülerinnen
aus dem sprachlichen Zweig – nicht von negativen Auswirkungen des KLV-Lagers
auszugehen. Nach meinen Quellen haben von den Schülerinnen dieser
Klasse 48,1% begonnen zu studieren und 33,3% ihr Studium abgeschlossen.
Wie viele von diesen Schülerinnen in Treseburg gewesen sind, kann
ich nicht sagen. Über die Klasse 12h ist mir bekannt, dass 13 Schülerinnen
das Abitur bestanden haben, die nach meiner Recherche alle in Treseburg
gewesen sind. Unterlagen über die 12s2 sind nicht auffindbar. In diese
Klasse ging keine der ehemaligen Treseburger Schülerinnen, da sie
alle, wie bereits erwähnt, zusammen in der Klasse 12s1 beschult wurden.
Der Abiturjahrgang von 1948,
für den es ebenfalls keine offizielle Abiturliste gibt, bestand aus
60 Schülerinnen, von denen nach meinen Angaben 22 in Treseburg gewesen
sind. Das Abitur haben nur 45 erfolgreich abgelegt. Auffällig ist
hierbei, dass von den 22 Schülerinnen, die ein halbes Jahr der 5.
Klasse und ihr gesamtes 6. Schuljahr in Treseburg verbracht haben, 20 das
Abitur bestanden haben. Die damaligen Klassen 5 und 6 entsprechen heute
den Klassen 9 und 10, wobei das Abitur schon nach der 12. Klasse absolviert
wurde. Diese eineinhalb Jahre waren also entscheidende Jahre in ihrer Ausbildung.
Die 12h, deren 8 Schülerinnen alle in Treseburg gewesen sind, hat
geschlossen das Abitur bestanden. Von den zwei ehemaligen Treseburger Schülerinnen,
die im sprachlichen Zweig 1948 durch das Abitur gefallen sind, ist eine
bereits vorher abgegangen. Die andere hat die Klasse wiederholt und ein
Jahr später die Abiturprüfungen bestanden. Außer den 22
schon erwähnten Schülerinnen sind in Treseburg noch 9 weitere
dieses Jahrganges gewesen. Eine davon ist nach dem Krieg nicht wieder an
die Sophienschule zurück-gekehrt, sondern hat an einem anderen Ort
ihr Abitur gemacht. Über den Verbleib der restlichen Schülerinnen
kann ich keine Angaben machen . Von den 20 Schülerinnen, die an der
Sophienschule 1948 Abitur gemacht haben, haben nach meiner Recherche im
Anschluß daran mindestens 5 Schülerinnen studiert. Zu diesem
Zeitpunkt bestanden für Frauen noch immer nur eingeschränkte
Studienmöglichkeiten.
Bei allen Jahrgängen,
die in Treseburg gewesen sind, waren die Durchfallquoten sehr gering oder
sie tendierten gegen null. Daraus leite ich ab, dass sich die Zeit in Treseburg
auf die Schulabschlüsse in keiner Weise negativ ausgewirkt hat. Über
die in diesem Kapitel bearbeitete Fragestellung – Einfluß der KLV
auf den Schulabschluß – habe ich in der mir zur Verfügung stehenden
Literatur keine Angaben gefunden. Es bleibt also ungeklärt, ob das
Ergebnis meiner Untersuchung auch auf Schülerinnen anderer Schulen
übertragen werden kann.
Bei meiner Untersuchung komme
ich insgesamt zu dem Ergebnis, dass der größte Teil der Schülerinnen
ihren Aufenthalt im KLV-Lager in Treseburg überwiegend positiv in
Erinnerung behalten hat. Es ist auch deutlich geworden, dass dieser Aufenthalt
keine erkennbaren negativen Einflüsse auf die Erziehung, die Schulbildung
und die späteren Schulabschlüsse der Schülerinnen gehabt
hat.
Diese Ergebnisse treffen
hinsichtlich der Erziehung und Bildung nicht nur auf die Sophienschule
zu. Auch über den Aufenthalt in den Wilhelmshavener KLV-Lagern sind
von den Betroffenen überwiegend positive Resümees gezogen worden.
Dagegen stellt Gerhard Kock, der die umfassendste Analyse geschrieben hat,
fest, dass die Betroffenen vor allem negative Erinnerungen an ihre Zeit
in KLV-Lagern haben.
Meiner Ansicht nach gibt
es dafür, dass die KLV keine negativen Auswirkungen auf die Sophienschülerinnen
hatte und dass keine Erziehung im Sinne des Nationalsozialismus erfolgte,
unterschiedliche, sich aber ergänzende Gründe:
– Einerseits lag das an dem
großen Einsatz der Lehrer und Lehrerinnen im
Unterricht
und an ihrer Art der Erziehung.
– Andererseits führte
auch der geringe Einfluß der Lagermädelführerin auf die
Gestaltung
des Lageralltags und die Erziehung der Schülerinnen zu diesem
Ergebnis.
– Einfluß hatte sicherlich
auch die zeitliche Begrenzung der Maßnahme auf
höchstens
eineinhalb Jahre, wobei die Schülerinnen zu Beginn der Maßnahme
mindestens
14 Jahre alt waren, sodass wesentliche Grundlagen der Erziehung
und Bildung
bereits durch das jeweilige Elternhaus gelegt worden waren.
– Hinzu kommt bei jedem Menschen
die Persönlichkeitsstruktur. Noch heute gilt
die Aussage
von Huxley (1932): „Was du bist, hängt von drei Faktoren ab: Was
du geerbt hast,
was deine Umgebung aus dir machte, und was du in freier Wahl
aus deiner
Umgebung und deinem Erbe gemacht hast“.
Meine Einschätzung wird
auch durch die jüngste Geschichte gestützt. Sie zeigt uns, dass
glücklicherweise nicht nur der Nationalismus und dessen Erziehungsideologien
nicht immer den gewünschten Erfolg erzielt haben. Auch andere totalitäre
Staaten, die versucht haben, die Erziehung der einzelnen Menschen zu steuern,
haben dieses Ziel nicht umfassend erreicht.
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Quellen |
Auernheimer, Georg:
Kategorien zur Interpretation von autobiographischen Dokumenten, Hagen
1990.
Hakemeyer, Uta: Schulzeit
in Treseburg – Spätherbst 1943 bis Ostern 1945.
Huxley, Aldons, in:
Hobmair, Hermann: Pädagogik, Köln 1990.
Kock, Gerhard: Die
KLV im Zweiten Weltkrieg, Paderborn 1997.
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„Erziehungssystem der DDR und die Folgen“, in: Der Spiegel, 12, 22.3.1999.
Schlegel, Martha: Von
der Nordseeküste in die Kinderlandverschickung 1940-1945: zeitgeschichtliche
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Vorländer, Herwart
(Hg.): Oral history: mündlich erfragte Geschichte, Göttingen
1990.
Zitelmann, Arnulf: Paule
Pizolka oder eine Flucht durch Deutschland, Weinheim 1991.
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am Bissendorfer Moor und Treffen der 12h (Abi 1947), in: Grüsse des
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„Ansprache der Goldenen Abiturientin“, in: Grüsse ... 59, Hannover
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Brief an Frau Dr. Beerhenke vom 15.1.1987 über die Zeit in Treseburg.
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„Rede einer Ehemaligen des Abiturjahrganges 1948“, in: Grüsse ...
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Tammisto, Christine:
„Sophien im Ausland“, in: Grüsse ... 60, Hannover 1997.
HR 16, Akte „Sophienschule
1947/48“, Aktennr. 2487.
HR 16, Akte „Schulgeldlisten
der Sophienschule und des Ratsgymnasiums vom Schuljahr 1942/43“, Aktennr.
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HR 16, Akte „Kinderlandverschickung“,
Bd. 1, Aktennr. 3891: Schreiben des Direktors der Sophienschule den Klassenstand
vom 17.4.1941 betreffend.
HR 16, Akte „Kinderlandverschickung“,
Bd. 2, Aktennr. 3892:
Schreiben des Direktors
der Sophienschule an den Oberbürgermeister der Stadt
Hannover vom 30.10.1943
über die Erweiterung der Maßnahme der
Kinderlandverschickung
auf alle Jahrgänge aufgrund der Unbenutzbarkeit der
Sophienschule
Anlage zum Schreiben
des Direktors der Sophienschule an den
Oberbürgermeister
der Stadt Hannover vom 30.10.1943 über die Erweiterung der
Maßnahme der
Kinderlandverschickung auf alle Jahrgänge aufgrund der
Unbenutzbarkeit der
Sophienschule.
Bericht des Direktors
der Sophienschule an den Oberpräsidenten für das höhere
Schulwesen über
den Monat Februar 1945.
Bericht des Schulleiters
über die letzten Tage in Treseburg.
HR 16, Akte „Totaler Kriegseinsatz“,
Aktennr. 3780: Brief des Reichsministers für Wirtschaft, Erziehung
und Volksbildung vom 1.9.1944.
Akte „Abiturlisten“, ohne
Aktennr.: Liste der Abiturientinnen der Jahrgänge 1944 und 1948.
Akte „Briefe der Ehemaligen“,
ohne Aktennr.
Tonbandinterviews mit Frau
Hella Gareis, Frau Edith Lockemann, Frau Ingrid Rohrmann (22.2.1999) und
mit Frau Ursula Lambrecht (23.3.1999).
Gedächtnisprotokolle
über die Gespräche mit Frau Gareis und Frau Rohrmann vom 24.3.1999,
Frau Dr. Elisabeth Engelmann vom 26.3.1999 und Frau Christa Wente vom 29.3.1999.
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