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Ein
großes Dankeschön ist das Erste, wonach mir zumute ist, wenn
ich an die Sophie denke. Ohne übertreiben zu wollen, kann ich sagen,
in dieser Schule habe ich was für’s Leben gelernt. Ich erinnere mich
gern an meine Lehrerinnen und Lehrer. Manche sind mir durch das, was sie
sagten und taten, zu stillen Begleitern geworden. Bei bestimmten Gedanken
und Entscheidungsprozessen tauchen sie immer mal wieder vor meinem inneren
Auge auf. Denn das, was sie sagten, wie sie reagierten, hatte Bestand bis
heute. Es hat mich überzeugt, getröstet oder motiviert.
Drei
Beispiele fallen mir ein.
Unsere
Klasse war eine Zeit lang Wanderklasse. Wir hatten keinen festen Klassenraum,
sondern schleppten von Stunde zu Stunde unsere Schulranzen in einen anderen
Raum. Irgendwann hatten wir davon die Nase gestrichen voll. Wir entschieden
uns zu einem Sitzstreik. Wir forderten, mit dem Direktor zu sprechen. Die
Erd-kundelehrerin, die in dieser Stunde unterrichten sollte, kam aus dem
Staunen nicht mehr raus. Sie merkte schnell, dass ein ordentlicher Unterricht
in dieser Stunde unmöglich war. Statt uns zu maßregeln oder
vorschnell nach höheren Mächten zu rufen, hörte sie sich
interessiert all unsere Anliegen an. Sie verstand unseren Ärger und
Überdruss und ermunterte uns dazu, weiter zu protestieren, bis der
Direktor sich vor Ort ein eigenes Bild verschaffen konnte. Das habe ich
einfach nicht vergessen. Diese Lehrerin hat uns motiviert, unseren Protest
deutlich zu äußern. Sie hat uns Mut gemacht, für unsere
Interessen zu kämpfen. Ihr wohlwollendes, verschmitztes Lächeln
zu unserer Aktion habe ich an so manchen Ort mitgenommen, an dem es nötig
war, seine Stimme zu erheben.
Im
Deutschunterricht habe ich eine Liebe zur Sprache entwickelt. Ich glaube,
die Lehrerinnen und Lehrer, die ich genossen habe, kannten selbst so eine
Liebe zu wohl geformter Sprache. Da ist der Funke einfach übergesprungen.
Waren es „Die Wahlverwandtschaften“, „Haus ohne Hüter“ oder „Homo
Faber“, ich genoss es, mir mit der Sprache ein Stück des Lebens zu
erschließen, und oftmals ging mir im Kopf herum: „Wie würde
ich es sagen?“
Am
meisten gefesselt hat mich der Religionsunterricht. Mit einer Lehrerin
lag ich ständig im Streit. Aber es war ein kreativer Streit, der mich
herauslockte, darum zu ringen, was Wahrheit ist und was Glauben in der
Welt bedeutet.
In
einen Religionslehrer sind wir als gesamte Klasse regelrecht vernarrt gewesen.
Ach, was meldeten wir uns gern „für ihn“! Er war Referendar, und wir
konnten ihm als Lehrer nur die besten Noten geben. Als er sich von unserer
Klasse verabschiedete, fühlten wir uns verlassen und betrogen. Sein
Nachfolger hatte es schwer mit uns. Es dauerte lange, bis wir mit ihm warm
wurden. Immer wieder nervten wir ihn mit dem Satz: „Aber Herr ... hat das
so gemacht!“ Einmal hat es ihm gereicht. Er holte tief Luft und sagte:
„Ich bin nicht Herr ..., ich war nicht Herr ..., und ich möchte auch
nicht Herr ... werden“. Da war der Bann gebrochen. Wir konnten mit ihm
verhandeln, aber er ließ sich nicht von uns bestimmen. Das hat uns
überzeugt.
Ja,
das habe ich von der Sophie mitgenommen: Die Liebe zur Sprache, das Ringen
um Wahrheit und lebendige Menschen, die das Anliegen ihres Gegenübers
sorgfältig prüften und dadurch zu positiven Autoritäten
wurden. Dies alles hat bei meinem Wunsch, Theologin zu werden, mitgeschwungen.
Inzwischen
bin ich Pastorin in einer Dorfgemeinde am nördlichen Rand von Hannover.
In Rundfunkandachten für den NDR übe ich mich in der Sprache,
die viele Menschen erreichen soll. Und wenn ich feile an den Sätzen,
wenn ich reflektiere, wie ich am besten etwas rüberbringe, auch dann
lande ich immer mal wieder bei der Sophie, weil da meine Liebe zur Sprache
und vieles mehr begann.
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Der
Sonntag - Eine Rundfunk- andacht (Oktober 1994) |
Der Sonntag war
in unserer Familie ein besonderer Tag. Ab Samstagnachmittag schon lief
Stunde für Stunde nach einem Muster ab. Das Fernsehprogramm bildete
den Auftakt. Nachdem wir geduldig vor dem „Blauen Bock“ ausgeharrt hatten,
den meine Mutter so gerne sah, freuten wir uns auf „Daktari“ mit dem Tierarzt
Dr. Tracy, der in der einsamen Steppe Afrika verletzten wilden Tieren wieder
auf die Beine half. Und nach dem Fernsehprogramm wurde die Blechwanne in
die Küche gestellt und die Brause an den Wasserhahn angeschlossen.
Nur am Samstag wurde ordentlich gebadet. Für mehrere Tage in der Woche
wäre das einfach ein zu großer Aufwand gewesen. Danach wurde
ein frischer Schlafanzug angezogen, und der Sonnabend klang in Ruhe aus.
Am Sonntag konnte mein Vater
einmal so richtig ausschlafen. Für ihn als Schichtarbeiter war das
ein stets ersehntes Vergnügen. Für uns Kinder hieß es,
mit leisen Sohlen durch die Wohnung zu tappen. Ging das Knurren im Magen
vor dem Aufstehen der Eltern los, schlich ich mich schon einmal in die
Küche, um die große rot-goldene Keksdose aus dem Schrank zu
holen, in der immer ein paar Leckereien zu finden waren. Dann wieder ab
ins Bett. Diesen Genuss gab es nur am Sonntag, und darauf freute ich mich
manchmal schon am Mittwoch.
„Du sollst den Feiertag heiligen.“
Das war ein Satz, den ich
nicht zuerst aus der Bibel gehört hatte, sondern aus dem Mund meines
Vaters. An diesem Tag wurden keine Schularbeiten gemacht, kein Nagel in
die Wand gehauen und, vor allem, keine Wäsche gewaschen.
Für meine Mutter war
das mit dem Feiertag ein bisschen anders. Er musste vorbereitet werden.
Sie hatte schon am Samstagabend den Waldmeisterpudding gekocht oder sonst
eine Nachspeise, die im Schlafzimmer kalt gestellt wurde. Und ab Sonntagvormittag
stand sie in der Küche und bereitete die Vorsuppe, Gemüse, Kartoffeln
und Braten. Irgendwann war mein Vater so weit, dass er sie bat, sich diese
Mühe nicht mehr zu machen. Ein Sonntagsessen könnte schließlich
auch mit weniger Aufwand zubereitet werden. Irgendwann kamen andere Gewohnheiten
am Sonntag dazu. Die festen Bestandteile unseres Sonntags lösten sich
langsam auf, und das nicht nur, weil wir ein ordentliches Badezimmer bekamen
mit richtiger Dusche.
Was ist denn das für
eine sentimentale Rückschau, denken Sie jetzt vielleicht. Aber ich
glaube wirklich, dieser gepflegte Sonntag in der Woche, der hatte was für
sich. Da war alles ein bisschen anders, und das machte diesen Tag zu einem
Feiertag.
Christine
Behler, Abi-Jahrgang 1982
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