SCHULE IN SRI LANKA 
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Schule in Sri Lanka
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Mein Vater leitet ein Projekt der Bundesregierung Deutschland im Nordosten Sri Lankas, Trincomalee, das sich mit Bildung in kriegsbetroffenen Gebieten beschäftigt.

Was für eine Rolle aber spielen Schule und Bildung für einen Schüler, der in einem solchen Gebiet lebt und für den eine gute Bildung wahrscheinlich die einzige Möglichkeit darstellt, diesen Umständen zu entfliehen? Um mir darüber ein Bild zu machen, führte ich ein ausführliches Interview mit einer 17-jährigen Schülerin des St. Marry’s College in Trincomalee:

A: „Vidhya, wie viele Schüler befinden sich auf deiner Schule?“

V: „1500, von der ersten bis zur dreizehnten Klasse, jeweils vierzügig.“

A: „Und wie sieht ein normaler Schultag für dich aus?“

V: „Der Unterricht beginnt um 8 Uhr. Wir müssen aber schon um 7:30 in der 
Schule sein. Dann wird bis 7:45 Morgengymnastik gemacht, in der letzten 
Viertelstunde werden gemeinsam Lieder gesungen. Dann beginnt der Unterricht:
Eine Schulstunde dauert 40 Minuten, sodass wir acht Fächer pro Tag haben. 
Es gibt eine große Pause von 11:00 bis 11:30.“

A: „Welches sind die wichtigsten Fächer?“

V: „Mathematik, wir dürfen übrigens nie einen Taschenrechner benutzen, Tamil und Science, man hat sie jeweils fünf Stunden in der Woche.“

A: „Hört sich ja sehr streng an!“

V: „Ist es auch. Wir müssen außerdem eine Schuluniform mit Krawatte tragen, sogar die Mädchen! Den Stoff dafür bekommen wir jedes Jahr von der Regierung, und meine Mutter muss sie dann nähen. Früher war es mal so, dass man an seinem Geburtstag tragen konnte, was man wollte, das wurde dann aber abgeschafft.“

A: „Wie ist denn das mit dem Rauchen bei euch?“

V: „Rauchen auf dem Schulgelände ist streng verboten. Wird man trotzdem erwischt, werden sofort die Eltern benachrichtigt. Da es sich in meinem Land für Frauen aber sowieso nicht gehört zu rauchen, passiert das auf meiner Schule nicht, weil Jungen und Mädchen auf getrennte Schulen gehen.“

A: „Und wie steht’s mit dem Briefeschreiben im Unterricht?“

V: (lacht) „Das ist natürlich auch verboten. Ein Mädchen wurde einmal erwischt, wie es Liebesbriefe schrieb, und flog daraufhin von der Schule. Das war aber hauptsächlich, weil es eben Liebesbriefe waren, sonst wird man nur einen Monat vom Unterricht ausgeschlossen.“

A: „Das hört sich ja so an, als ob sich die Lehrer ziemlich in euer Privatleben einmischen würden.“

V: „Kann man so sagen. Sieht dich beispielsweise eine Lehrerin in der Stadt, wenn du nicht sittsam gekleidet bist, so hat das durchaus schulische Konsequenzen.“

A: „Und das lasst ihr euch so gefallen?“

V: „Das ist keine Frage des Gefallenlassens, für uns ist das selbstverständlich, denn von kleinauf wird uns beigebracht, dass die Schule das wichtigste ist. 
Tamilen werden in meinem Land nämlich immer unterdrückt, deshalb ist es für uns notwendig, immer besser zu sein als die anderen.“

A: „Sind alle in deiner Klasse dieser Meinung?“

V: „Klar, und unsere Eltern natürlich auch. Deswegen müssen wir nach der Schule noch zu Privatstunden zu den Lehrern nach Hause. Da gehen aber alle hin, diese Privatstunden sind sehr beliebt.“

A: „Warum?“

V: „Weil da Jungen und Mädchen zusammen Unterricht haben, wo sie doch sonst immer getrennt sind.“

A: „Wann habt ihr denn dann eigentlich mal Freizeit?“

V: „Nicht sehr häufig. Wir sind ja den ganzen Tag mit Schule beschäftigt, sodass Hausaufgaben erst abends gemacht werden können. Da sitze ich dann auch noch mal mindestens zwei Stunden dran. Manche schlafen auch, wenn sie mal Freizeit haben, da viele schon um 2 Uhr morgens aufstehen, um für Arbeiten zu üben oder auch Hausaufgaben zu machen.“

A: „Gottseidank gibt’s ja noch Ferien!“

V: „Ja! Wir haben dreimal im Jahr Ferien, im April, im August und im Dezember, jeweils zwei Wochen. Allerdings muss man in der elften, zwölften Klasse in den Sommerferien die ersten zehn Tage jeden Morgen von 7:00 bis 11:00 Uhr in die Schule, das ist Pflicht.“

A: „Ein Leben für die Schule, das stelle ich mir nicht sehr einfach vor!“

V: „Sie kommt uns aber auch entgegen: Z.B. kann man Räume in der Schule mieten, um da zu übernachten. Das machen diejenigen, die zu weit weg wohnen, als dass sie jeden Tag die Strecke zur Schule und zurück fahren könnten. Manche Eltern ziehen aber auch extra um, damit ihre Kinder auf eine bestimmte Schule gehen können. Wir ziehen z.B. bald nach Kolombo, damit mein Bruder dort Informatik studieren kann.“

A: „Berät einen die Schule eigentlich bezüglich der Berufswahl?“

V: „Nicht direkt. Man kann allerdings von der neunten bis zur elften Klasse wahlweise das Fach ‚commerce and accounts’ belegen. Da wird man mit dem Bankwesen usw. vertraut gemacht.“

A: „Du sagtest, die Schule komme euch auch entgegen. Kannst du noch Beispiele nennen?“

V: „Es wird versucht, den Schulalltag so attraktiv wie möglich für uns zu gestalten. Es gibt auch Veranstaltungen wie z.B. den ‚Sportsday’, wo es um Hoch- und Weitsprung, Laufen und Werfen geht. Dann gibt es den ‚Englishday’, einen Wettbewerb um kreatives Schreiben. Der Gewinner darf nach Kolombo, um an 
größeren Wettbewerben teilzunehmen. Außerdem haben wir den ‚Tamilday‘, einen Tanzwettbewerb mit traditionellen Tempeltänzen, die man hier an der Schule erlernen kann. Und wir haben ‚Pricegiving‘. Das bedeutet, dass einmal im Jahr die Schüler, die überdurchschnittlich gute Zeugnisse haben, in der Aula von den Lehrern geehrt werden und Preise wie Bücher, Zertifikate etc. erhalten. Das ist sehr begehrt. Es gibt jeden Freitagmorgen eine religiöse Versammlung für die vielen verschieden Religionen, die hier vertreten sind. Die dauert 25 Minuten. Ach ja, und dann gibt es noch so etwas, dass jede Klasse einmal im Jahr Essen zum Verkauf mitbringen muss, das Geld bekommt die Schule.“

A: „Gibt es bei euch eigentlich auch so etwas wie Abistreich?“

V: „Bei uns sammeln die Abiturienten Geld und spenden es der Schule.“

A: „Sie sind der Schule also dankbar?“

V: „Ja natürlich. Ohne sie hätten sie niemals eine so gute Ausbildung erhalten können, wo die doch so wichtig ist. Sogar in dem ärmsten Dorf wird man eine öffentliche Bibliothek finden, damit sich auch die ärmeren Leute bilden können.“

A: „Jetzt habe ich nur noch eine Frage: Was macht ihr, wenn ihr wider Erwarten doch mal Freizeit habt? Ich meine, gibt es denn keine Sportvereine, geht ihr abends nie irgendwohin, was ist mit Kino?“

V: „Unsere Eltern sind sehr ängstlich wegen des Bürgerkrieges und oft auch abergläubisch, sodass sie uns eigentlich vor allem abends nicht rauslassen. Kino ist nur für Erwachsene, und Sportvereine gibt es nicht. Wenn wir Sport betreiben wollen und Zeit haben, treffen wir uns in der Schule zum Basketballspielen oder so, wo sollen wir sonst auch hingehen?“

Anna Serena Hirth


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