Ein
Erinnerungsbericht zum
50-jährigen Bestehen
am
24. April 1950 |
Sie
steht auf ihrem Postament, ein Werk des Bildhauers Engelhard, und schaut
auf die Seelhorststraße hinab: die Kurfürstin Sophie. Vor Zeiten
war sie vergoldet, dann trat die rote Grundfarbe hervor, und in den Unglückstagen
des Oktobers 1943 hat sie sich schwarz gefärbt. Aber sie steht noch
immer an ihrem alten Platze, und wenn sie lächeln könnte, würde
sie das jetzt tun, denn das Schulhaus, dessen Schutzpatronin sie ist, besteht
am 24. April 50 Jahre.
Vier
Direktoren haben in dieser Zeit die Schule geleitet: von 1900 bis 1921
Geheim-rat Dr. Hermann Schmidt, von 1921 bis 1937 der Verfasser dieser
Zeilen, Dr. Ludwig Wülker, von 1937 bis 1945 Dr. Hans Bartels und
seit 1946 Frau Elisabeth Bernecker, vorher Oberstudienrätin an der
Wilhelm-Raabe-Schule.
Die
Vorgeschichte der Anstalt ist denkbar einfach. Um die Wende des Jahrhunderts
arbeiteten die Bürgervereine der Oststadt darauf hin, eine höhere
Mädchenschule in ihrem Bezirk zu bekommen, da die bereits vorhandenen
allzu weit entfernt lagen. Der Magistrat billigte diese Wünsche, und
so trat Ostern 1897 eine Höhere Töchterschule III ins Leben,
die auf Vorschlag von Dr. Hermann Schmidt den Namen „Sophienschule“ erhielt.
Zuerst war es nur eine Klasse im Hause der Stadttöchterschule III
an der Ludwigstraße, dann fanden die an Zahl rasch anwachsenden Klassen
Unterkunft in einem Privathause in der Sedanstraße. Der starke Zuspruch
machte jedoch den Bau eines Schulhauses nötig, und vor gerade 50 Jahren,
am 24. April 1900, zogen 11 Klassen in das Gebäude an der Seelhorststraße
ein. 1902 übernahm der Direktor zugleich die Leitung der gymnasialen
Kurse, die in demselben Hause untergebracht waren. In den nächsten
Jahren wurde das Haus durch Aufsetzen eines dritten Stockwerkes erweitert,
eine zweite Turnhalle gebaut und weitere Verbesserungen vorgenommen. Die
Schülerinnenzahl stieg auf 882 in 26 Klassen (1910). Die Schulreform
von 1908 ließ alle Klassen zu einer geschlossenen Einheit verschmelzen
als Sophienschule = Lyzeum III mit realgymnasialer Studienanstalt.
Als
1914 der erste Weltkrieg ausbrach, rissen militärische Einberufungen
bald große Lücken ins Kolleg. Jüngere Lehrerinnen und freiwillige
Hilfskräfte waren bemüht, diese Lücken auszufüllen,
mit Eifer und Pflichttreue haben sie ihres Amtes gewaltet, bis um Neujahr
1919 alle Einberufenen zurückgekehrt waren und der Unterricht, wenn
auch unter unendlichen Schwierigkeiten, wieder aufgenommen werden konnte.
Ostern
1922 hätte der Tag gefeiert werden sollen, an dem vor 25 Jahren die
Schule in ihr 50-jähriges Erscheinen getreten war. Aber die Zeitlage
verbot ein solches Feiern: Zu nahe lag noch der Zusammenbruch Deutschlands
zurück, und das Gespenst der Inflation breitete seine Schatten über
unser Vaterland aus. So begnügte sich die Schule mit einer internen
Feier und hat erst 1925 unter wesentlich günstigeren Zeitläufen
den Tag gefeiert, an dem 25 Jahre vorher das Schulhaus eingeweiht war.
Das Fest brachte einen großen Festaktus in der Aula, eine Riesenkaffeetafel
für Eltern und Kinder und am zweiten Tage eine Zusammenkunft ehemaliger
Schülerinnen, bei der an 500 „Ehemalige“ durch ihr Erscheinen sich
zu der alten Schule bekannten. Auch in diesem Jahre sollte der Tag gefeiert
werden als 50-jähriges Jubiläum, aber die Schule befindet sich
im Zustande des Umbaues und der Wiederherstellung. Vor allem ist die Aula,
das unentbehrliche Schmuckstück bei Jubiläen, noch nicht wieder
verwendbar. So hat man aufgeschoben, aber nicht aufgehoben und will im
September das Fest des 50-jährigen Bestehens in umso größerem
Rahmen begehen.
Die
Zeiten gingen hin – das Jahr 1933 kam. Das nazistische System wirkte sich
bald auch in den Schulen aus: An die Stelle ruhiger, stetiger Arbeit trat
eine fast ununterbrochene Folge von Festen und Festlichkeiten. Die Arbeit
litt, die Leistungen der Schulen gingen überall zurück. Dass
die pädagogischen Missgriffe sich bis ins fast Unerträgliche
steigerten, zeigte eine Volksversammlung auf dem Welfenplatz, zu der alle
Klassen bis herab zu den 11-jährigen „befohlen“ wurden.
Der
zweite Weltkrieg brach aus und entzog der Schule mehrere Lehrkräfte,
von denen zwei nicht wieder zurückgekehrt sind. Die Katastrophe vom
8./9. Oktober 1943 setzte dem Schulhause schwer zu. Die Turnhallen wurden
zerschlagen, das dritte Stockwerk brannte weg, die Aula wurde stark beschädigt.
Ein weiteres Unter-richten in dem Gebäude war unmöglich. So siedelten
an 200 Schülerinnen in den Harz über, nach Treseburg und dem
nahen Hasselfelde, wo sie in zwei, dann in drei Lagern betreut wurden.
Erst am 4. April 1945 erfolgte der Rücktransport der Kinder nach Hannover.
Als ein paar Tage später Treseburg besetzt wurde, verfiel das zurückgelassene
Gepäck der Lehrer und Schülerinnen der Plünderung durch
russische und polnische Zivilarbeiter. Einiges konnte gerettet werden,
aber der gesamte Inhalt eines zweiten Transportes ging verloren, darunter
auch Bücher und Lehrmittel in großer Menge, die der Schule gehörten.
Diese „Beute“ soll sich noch heute in Blankenburg befinden.
Der
Sommer 1945 verging ohne Wiederbeginn der Unterrichts, erst in den Herbstmo-naten
konnte der Unterricht, zuerst in bescheidenem Rahmen, wieder aufgenommen
werden, natürlich unter unendlichen Schwierigkeiten. Zusammen mit
der Sophien-schule haben noch andere Schulen das Gebäude benutzt.
Von ihnen befindet sich die Elisabeth-Granier-Oberschule noch heute im
Hause in der Seelhorststraße. Seitdem sind reichlich vier Jahre vergangen,
Jahre ernster und stiller Arbeit, in denen unter zielbewusster Führung
die Wunden heilten, die Krieg und Nachkriegszeit geschlagen haben. Die
heutigen Leistungen, so vor allem die Reifeprüfungen, zeigen, dass
dieses Ziel erreicht ist.
Aber
die Schule hat nicht nur gearbeitet, sie hatte auch für die ihr anvertrauten
Kinder eine besondere Freude, und das war das Landheim. Die Landheim- bewegung
hatte in Hannover 1922 eingesetzt, als die Leibnizschule ihr Heim in Gehrden
auftat. Andere Schulen folgten, und als erste Mädchenschule erwarb
die Sophien-schule ihr Landheim. Nach langem Suchen im Deister und Süntel
und in der Heide fand sich im Juli 1920 das Gesuchte: ein Heim in Hambühren,
6 km hinter Celle. Als wir das Gebäude zum ersten Male sahen, wussten
wir: Jetzt waren wir am Ziele. Das Heim wurde gekauft und im Winter 1926/27
ausgebaut. Bald nach Ostern 1927 zog der nachmalige Heimwart Professor
Ey mit seinen Sekundanerinnen als erster Vorposten ins Landheim ein, und
am 15. Mai 1927 fand die feierliche Einweihung statt. Viel Freude und viele
gute Stunden hat das Heim gesehen. Die Klassen wechselten wochenweise,
und wenn man anfangs einfach den Unterricht der Schule in das Heim zu übertragen
versuchte, kam man bald auf andere Wege. Man pflegte Geschichte und Heimatkunde,
stellte naturwissenschaftliche Beobachtungen an, von den Pflanzen und Tieren
der Umgebung bis zu dem funkelnden Sternenhimmel an schönen Sommerabenden.
Dazu wurde fleißig gezeichnet, gesungen und geturnt. Ja, man wagte
sich eine Zeit lang sogar an eine graue Aufgabe: an frühgeschichtliche
Ausgrabungen, die dem Provinzialmuseum allerhand wertvolle Funde zugeführt
haben. Von 1927 bis 1939 ist das Landheim benutzt worden, dann wurde es
beschlagnahmt und diente den verschiedensten Zwecken und Aufgaben. Aber
es blieb erhalten und wurde 1948 seiner alten Bestimmung wieder zurückgegeben.
Noch heute fragen alle früheren Schülerinnen, welche die frohen
Tage im Landheim genossen haben, als Erstes, wenn sie einen von uns Alten
treffen: „Was macht unser liebes altes Landheim?“
Dieser
Zeitungsartikel aus der HAZ vom 24.4.1950 wurde der Redaktion von einer
ehemaligen Schülerin, Frau Hannelore Thaldorf aus Stuttgart, zur Verfügung
gestellt.
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